Mittwoch, 16. Juli 2014

Hofstadters Apologie des Analogen.

aus DER SPIEGEL 18/2014

SPIEGEL-GESPRÄCH
Sprache ist alles 

Von Johann Grolle

Der US-Informatiker Douglas Hofstadter ist überzeugt, dass der Mensch intelligenter ist als jeder Rechner und dass Google, Apple und Co. schwere Irrtümer begehen.


Auf einem Regal über der Toilette hat Douglas Hofstadter seine Jugend archiviert. Kleine, in Leder gebundene Hefte stapeln sich dort. Als Teenager hat Hofstadter darin zusammengetragen, was ihm bewahrenswert schien: fremdländische Lettern, lustige Versprecher, mathematische Eingebungen.
Hofstadter, 69, ist ein Sammler. Sein Arbeitszimmer zu Hause in seiner Villa in Bloomington im US-Staat Indiana bordet über von Fundstücken, die er von Exkursionen in die Welt der Ideen mitgebracht hat. Einen Ehrenplatz nehmen dabei zwei Holzklötze ein: Hofstadter hat sie vor langer Zeit selbst ausgesägt, ihre Schatten bilden die Buchstaben G, E und B. Ein Foto dieser Würfel prangte 1979 auf dem Titelblatt von Hofstadters Bestseller "Gödel, Escher, Bach". Dieses Buch machte den damals 34-jährigen Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Robert Hofstadter schnell berühmt. Viele priesen es als eine Art Bibel der künstlichen Intelligenz.

Es schien, als hätte Hofstadter einen Weg aufgezeigt, wie sich das menschliche Denken verstehen und in die Funktionsweise von Computern übertragen lasse.

Die Informatiker allerdings knüpften kaum an Hofstadters Erkenntnisse an, sondern begnügte sich mit der bloßen Imitation einzelner menschlicher Intelligenzleistungen. Hofstadter aber forschte an der Indiana University weiter - und hat sich auch der Sprache zugewandt: An ihr, so seine These, zeige sich die schöpferische Kraft des menschlichen Geistes.


In seinem Büro zeugen Wörterbücher von seiner Leidenschaft für Wörter und Grammatik. Wie viele Sprachen er beherrsche? Schwer zu sagen, meint er. Sein Deutsch und Spanisch reichten aus, um Vorträge halten zu können. Russische Literatur könne er übersetzen, Chinesisch flüssig simsen. Wirklich zu Hause aber fühle er sich nur im Italienischen und im Französischen.

Sein neues Buch "Die Analogie. Das Herz des Denkens" (Verlag Klett-Cotta) befasst sich mit dem Zusammenhang von Sprache und Geist. Hofstadter, der an der Indiana University in Bloomington lehrt, hat es gemeinsam mit dem französischen Mathematiker und Psychologen Emmanuel Sander, 46, verfasst.

SPIEGEL: Herr Professor Hofstadter, Sie können rückwärts reden?

Hofstadter: Es ist lustig, dass Sie danach fragen. Ja, als Teenager stellte ich mir einmal vor, dass es eine Sprache namens Hsilgne gebe, in der alles - die Grammatik, die Schreibweise, einfach alles umgekehrt als im Englischen ablaufe. Und das musste natürlich auch für die Aussprache gelten. Also habe ich versucht, rückwärts zu reden, und den Kassettenrecorder dann rückwärtslaufen lassen. Es war verständlich, klang allerdings, als hätte ich einen komischen Akzent.

SPIEGEL: Was für einen Akzent?

Hofstadter: Als käme ich vom Mars. Das Einzige, woran ich mich heute noch erinnere, klang übrigens ungefähr: "Oriesi wuhsch senyam uhsch", was bedeutet: "Two minus two is zero."

SPIEGEL: Zwei minus zwei ist null - offenbar fasziniert Sie das Phänomen Sprache. Warum?

Hofstadter: Wahrscheinlich weil Sprache eng mit dem verbunden ist, was den menschlichen Geist ausmacht. Mensch sein bedeutet, sich neue Konzepte anzueignen, Namen für sie zu haben, mit anderen zu kommunizieren. Aber auch das Alphabet hat mich in seinen Bann gezogen. Ich entdeckte die Alphabete Indiens und Sri Lankas, die Hindi-Schrift Devanagari. Und natürlich die chinesischen Schriftzeichen, die in der Bay Area in Kalifornien, wo ich aufwuchs, allgegenwärtig waren. All diese Formen, und jede stand für eine Idee. Ich konnte nicht genug davon kriegen.

SPIEGEL: Und der Klang der Sprachen?

Hofstadter: Ja, natürlich, ich liebe den Klang der Sprachen. Einige von ihnen sind extrem schön - sogar das Deutsche im Übrigen. Ich dachte immer, Deutsch sei unschön - bis ich irgendwann Marlene Dietrich singen hörte.

SPIEGEL: Sie haben eine Schwester, die nie sprechen lernte. Welchen Einfluss hatte das auf Ihre Sprachbegeisterung?

Hofstadter: Zunächst macht es mich sehr traurig. Gerade erst hatte ich wieder einen Traum, in dem Molly sprechen konnte. Sie war in meinem Traum ein kleines Mädchen. Ich sagte etwas zu ihr. Und zu meiner größten Überraschung lächelte sie und antwortete. Es war überwältigend.

SPIEGEL: Sie spricht nicht nur nicht, sie versteht auch nicht?

Hofstadter: Kaum mehr als unser Hund. Sie hat nur ein sehr, sehr begrenztes Verständnis für das, was Sprache ist.

SPIEGEL: In Ihrer 800-Seiten-Studie "Die Analogie" behaupten Sie, der Mensch sei intelligenter als jeder Computer, letztlich zeige sich das an der Sprache. Ist Denken auch ohne Sprache möglich?

Hofstadter: Im Prinzip schon. Auch Hunde denken, wenngleich nicht besonders anspruchsvoll. Aber sehr weit kommt man ohne Sprache nicht. Die Konzepte, in denen wir denken, verdanken wir der Sprache.

SPIEGEL: Abstrakte Denker, Mathematiker zum Beispiel, behaupten mitunter, dass sie eher in Bildern denken.

Hofstadter: Aber auch die lassen sich auf Sprache zurückführen. Mathematik ist zutiefst linguistisch. Lassen Sie mich dazu eine Geschichte erzählen: Ich hörte irgendwann von einem Schweizer Mathematiker namens Steiner, der seine Geometriekurse in völliger Dunkelheit abhielt. Das fand ich so verrückt, dass ich es selbst ausprobieren musste. Also habe ich für meinen Geometriekurs den Raum total abgedunkelt und dann den sogenannten Morley-Satz, einen wunderschönen Satz über Dreiecke, allein mit Worten bewiesen. Ich sage Ihnen: Es geht.

SPIEGEL: Ihr neues Buch über die "Analogie" handelt nicht von der Sprache selbst. Sie nutzen diese vielmehr als Werkzeug, um das Wesen des Denkens zu ergründen.

Hofstadter: Ja, nehmen Sie zum Beispiel Fehler, wie sie uns ständig beim Sprechen unterlaufen. Sie erlauben uns einen Blick direkt ins Unterbewusstsein.

SPIEGEL: Sie meinen, so wie Freud Versprecher als verräterisch betrachtete?

Hofstadter: Nein. Mir geht es nicht um Sexualität oder den Ödipuskomplex.

SPIEGEL: Sondern?

Hofstadter: Es geht mir um ganz alltägliche Fehler: Wortverwechslungen, Begriffsvermischungen, Lautverschiebungen. Wenn man all solche Fehler sammelt, dann stellt man fest, dass in unserem Geiste unentwegt Wörter miteinander konkurrieren. Jede neue Situation, in der wir uns wiederfinden, ruft in unserem Geist ein ganzes Geflirre von Wörtern wach. Es ist, als schwärmten in unserem Kopf lauter Teams aus, um nach dem richtigen Wort zu suchen, und sie alle stehen in Wettbewerb miteinander. In den meisten Fällen geht eines der Teams als unumstrittener Sieger durchs Ziel.

SPIEGEL: Aber wenn wir einen Fehler machen, dann heißt es, dass mehrere Wörter gleichzeitig über die Ziellinie gehen?

Hofstadter: Sie sagen es. Dann wird der Wettstreit sichtbar - am eindeutigsten, wenn wir Wörter auf komische Weise miteinander vermischen. Je mehr Fehler man analysiert, desto klarer wird: Im Grunde ist die Wahl jedes einzelnen Wortes, das wir aussprechen, das Ergebnis eines verborgenen Wettstreits der Wörter.

SPIEGEL: Verrät uns das auch etwas über die Wörter selbst?

Hofstadter: Allerdings. Es ist zum Beispiel ein weitverbreiteter Irrtum, unsere Wörter seien wohldefiniert. Wir glauben, das Wort "Tisch" sei unveränderlich mit diesem Gegenstand hier vor mir verbunden. Oder nehmen wir zum Beispiel dieses seltsam aussehende Blechding dort, wissen Sie, wie das heißt?

SPIEGEL: Dieses Gerüst da vor dem Kamin? Nein, keine Ahnung.

Hofstadter: Ehrlich gesagt, kann ich es selbst nicht sagen. Oder doch, jetzt schießt mir plötzlich ein Wort in den Sinn: "Feuerbock". Und da wird es jetzt interessant: Ich weiß nicht einmal, ob das der richtige Begriff ist. Und selbst falls dies wirklich ein Feuerbock ist, dann sehen andere Feuerböcke gewiss völlig anders aus. Trotzdem hat mein Geist irgendetwas Typisches an diesem Objekt erkannt, das in meinem Bewusstsein mit diesem Begriff verknüpft ist.

SPIEGEL: Und dieser Name, wollen Sie sagen, ist schon zuvor irgendwo in Ihrem Hirn abgespeichert und muss nun nur noch zugeordnet werden?

Hofstadter: Ja. Letztlich können wir immer nur das Neue, was wir wahrnehmen, auf das anwenden, was wir schon kennen.

SPIEGEL: Für diesen Vorgang wählen Sie in Ihrem Buch den Begriff "Analogie".

Hofstadter: Genau. Wobei das natürlich nicht nur für das gilt, was ich sehe, sondern auch für jeden anderen unserer Sinne. Wenn ich zum Beispiel ein Stück auf dem Klavier spiele, dann kann es sein, dass ich, obwohl ich das Stück nie zuvor gehört habe, sage: "Oh, das klingt nach Skrjabin." Und wenn mir jemand sagt: "Nein, das ist kein Skrjabin", sage ich: "Nein? Dann vielleicht Rachmaninow." Auch da bilde ich eine neue Erfahrung ab auf das, was ich schon kenne.

SPIEGEL: Analogien, so lautet die zentrale These Ihres Buches, sind Dreh- und Angelpunkt all unseres Denkens. Wann ist diese Überzeugung in Ihnen gereift?

Hofstadter: Schon als Teenager war ich fasziniert von Analogien. Ich interessierte mich damals für IQ-Tests und stellte fest, dass sich sehr viele Fragen darin um die Bildung von Analogien drehen. Je mehr ich mir diese Analogien aber ansah, desto mehr merkte ich, dass sie keineswegs eindeutig waren. Es gab gute und weniger überzeugende, aber vor allem gab es viele verschiedene.

SPIEGEL: Wie eng ist denn die Beziehung zwischen Analogie und Intelligenz?

Hofstadter: Sehr eng. Intelligenz ist die Fähigkeit, sehr schnell sehr tiefe Analogien zu erkennen. Die Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit den Finger auf das Wesentliche einer Situation zu legen. Sagen zu können: "Ha, das habe ich schon einmal gesehen. Das erkenne ich wieder."

SPIEGEL: Und diese Fähigkeit ist der Kern all unseres Denkens?

Hofstadter: Ja, aber es hat lange gedauert, bis ich zu dieser Erkenntnis gelangt bin. Ich will Ihnen dazu eine Anekdote erzählen: Im Jahr 2000 hat mich die physikalische Fakultät der Universität Stanford eingeladen, die Hofstadter-Vorlesung zu halten, die dort zu Ehren meines Vaters - des Physikers Robert Hofstadter - einmal im Jahr gehalten wird. Das war eine große Ehre für mich. Aber ich habe mich gefragt: Was kann ich denn über die Physik sagen? Dass ich meinen Doktor in Physik gemacht hatte, lag damals 25 Jahre zurück, und seither hatte ich andere Dinge gemacht. Also beschloss ich, über die Rolle der Analogie im physikalischen Denken zu sprechen, und ich gab meiner Vorlesung den Titel "Die Allgegenwart der Analogie in der Physik".

SPIEGEL: "Allgegenwart"? Das ist eine ziemlich weitgehende These.

Hofstadter: Das hat mir zunächst auch Sorgen bereitet. Ich konnte zwar aus dem Stegreif eine Reihe physikalischer Analogien nennen. Aber vielleicht, dachte ich plötzlich, ist das eher die Ausnahme. Möglicherweise besteht ein großer Teil der Physik doch nur aus purer Logik. Also stürzte ich mich in die Literatur, kaufte bergeweise Bücher und las stapelweise Artikel. Und zu meiner Freude und Erleichterung stellte ich fest: Wo immer ich auch hinguckte, überall stieß ich auf Analogien.

SPIEGEL: Zum Beispiel?

Hofstadter: Selbst ein scheinbar so abstrakter und logischer Denker wie Einstein nutzte Analogien. Zu seiner zentralen quantenphysikalischen Einsicht zum Beispiel, für die er den Nobelpreis bekam, gelangte er, weil er eine tiefe Analogie zwischen dem elektromagnetischen Spektrum eines sogenannten Schwarzen Körpers und dem Energiespektrum eines idealen Gases erahnte. Licht, so schloss er daraus, verhält sich, als ob es aus Teilchen bestünde. Und das war damals eine radikale, eine geradezu ungeheuerliche These.

SPIEGEL: Sind Logik und Denken in Analogien für Sie Gegensätze?

Hofstadter: Jedenfalls ist es ein Irrtum zu glauben, die Analogie spiele in der Logik keine Rolle. Wenn ein Physiker Gleichungen löst, dann scheint es zunächst, als handelte es sich um pure Logik. Tatsächlich aber gibt es unendlich viele Dinge, die er mit seiner Gleichung tun könnte. Und wenn er sich für eines davon entscheidet, dann lässt er sich von seinen Erfahrungen leiten: "Dies ist eine typische Situation, in der es partiell zu integrieren gilt" oder "Hier ist eine Fourier-Transformation sinnvoll". Unbewusst fühlt er sich an ähnliche Situationen in der Vergangenheit erinnert, und seine Entscheidung fällt er, indem er Analogien zu diesen früheren Situationen herstellt.

SPIEGEL: Warum haben die Philosophen dann der Logik so viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt als der Analogie?

Hofstadter: Das ist eine gute Frage. Vermutlich wollen wir unser Denken einfach gern als rigoros und unerschütterlich betrachten. Als etwas, das uns von Wahrheit zu Wahrheit führt. Deshalb wird die Mathematik als Terrain puren Denkens schlechthin betrachtet. Tatsächlich aber lassen sich auch Mathematiker von vagen Intuitionen und Einsichten leiten. Erst hinterher rechtfertigen sie dann ihr Tun und füllen all die Lücken. In dem Artikel, den sie am Ende veröffentlichen, lassen sie all die intuitiven Schritte, die sie zum Ziel geführt haben, weg. Und die Leute, die diesen Artikel lesen, verwechseln seinen Inhalt mit dem, was tatsächlich mathematisches Denken ist.

SPIEGEL: Ist Intuition und Analogie in Ihren Augen dasselbe?

Hofstadter: Im Grunde schon. Was ist Intuition anderes als das Gefühl, etwas irgendwo schon gesehen oder erlebt zu haben? Sie besteht darin, alle unwesentlichen, oberflächlichen Details der Dinge wegzulassen und tief in ihrem Innern verborgene Ähnlichkeiten zu erkennen.

SPIEGEL: Haben Sie den Eindruck, dass die Analogie eine größere Rolle spielen sollte bei der Art, wie wir unsere Kinder unterrichten?

Hofstadter: Nicht nur bei der Art, wie wir lehren, sondern überhaupt, wie wir kommunizieren. Wissenschaftliche Artikel sind oft ungemein abstrakt. Das aber ist ein schrecklicher pädagogischer Fehler. Um uns verständigen zu können, brauchen wir Beispiele. Nur über Beispiele verstehen wir Menschen die Welt. Nur so können wir Neues in Bezug zu uns setzen und Analogien zu unseren eigenen Erfahrungen herstellen.

SPIEGEL: Sind die Analogien, die wir ziehen, nicht stark abhängig von der Begrifflichkeit unserer Sprache? Ist damit das Denken in jeder Sprache anders?

Hofstadter: Auf einer eher oberflächlichen Ebene mag das sein. Aber letztlich transzendiert jede Sprache diese Unterschiede. Beim Übersetzen muss man sich zunächst aller irrelevanter Details eines Textes entledigen und zum Wesentlichen vordringen. Wenn man dieses erkannt hat, gilt es, dies in der anderen Sprache neu zu erschaffen, um dann die Details wieder einzufügen. Ich habe das erlebt, als ich den "Eugen Onegin" von Puschkin aus dem Russischen übersetzt habe, einen Roman, der in Versen geschrieben ist. Erst musste ich die Idee erfassen, diese dann im Englischen rekonstruieren - und erst am Ende dem Ganzen den metrischen Rhythmus des Originals aufprägen.

SPIEGEL: Glauben Sie als Computerwissenschaftler, dass Computer je etwas Ähnliches werden vollbringen können?

Hofstadter: Das weiß ich nicht. Aber eines weiß ich sicher: Das digitale Übersetzungsprogramm Google Translate vollbringt es nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Google Translate ist durchaus beeindruckend. Sie füttern die Maschine mit einem Absatz in einer fremden Sprache, und ehe Sie sich's versehen, kommt eine Abfolge von englischen Wörtern heraus, die aussieht, als handelte es sich um eine Übersetzung ...

SPIEGEL:  ... die bemerkenswert häufig sogar einen gewissen Sinn hat ...

Hofstadter:  ... aber sehr oft auch nicht. Oft mäandert diese Abfolge von Wörtern nur wahllos durch den semantischen Raum - weil der Computer nicht versteht, was er übersetzt. Google Translate beruht darauf, dass extrem schnelle Computer mit Zugriff auf gigantische Datenbanken Pseudo-Übersetzungen generieren. Das ist einerseits eindrucksvoll, andererseits beweist es nur, wie subtil Sprache eigentlich ist.

SPIEGEL: In den deutschen Feuilletons gibt es eine heftige Debatte über das Verhältnis Mensch und Computer, die Stimmung ist düster, Menschen scheinen sich immer mehr vor Google und Apple zu fürchten. Sie aber bleiben optimistisch und glauben, der Mensch sei auf lange Sicht den Rechnern überlegen?

Hofstadter: Ich bin ein durch und durch materiell denkender Mensch, der überzeugt davon ist, dass die Welt von den Gesetzen der Physik regiert wird und dass auch das Gehirn nichts Mystisches ist. Folglich ist es theoretisch sicher möglich, das Gehirn auf hinreichend schnellen und großen Computern zu simulieren. Aber zu sagen, dass dies bald gelingen wird, ist etwas ganz anderes. Ich bin überzeugt davon, dass die Leute derzeit in die völlig falsche Richtung marschieren. Google, Apple und Co. sind große Unternehmen, die von Profitdenken getrieben sind. Und um Profite zu machen, reicht es, Programme zu schreiben, die aussehen, als ob sie etwas verstünden, obwohl sie überhaupt nichts verstehen.

SPIEGEL: Wenn wir zum Beispiel den IBM-Computer "Watson" betrachten, der 2011 im US-Fernsehquiz "Jeopardy" menschliche Champions besiegt hat ...

Hofstadter: Ja, das ist ein sehr gutes Beispiel. Ich bin damals zusammen mit David Ferrucci, einem der Entwickler von Watson, zu einer Radioshow eingeladen worden. Ich kann mich noch gut entsinnen, wie fassungslos ich war, als er allen Ernstes behauptete, Watson habe all die Bücher, mit denen er gefüttert wurde, "gelesen". Genauso gut hätte Ferrucci behaupten können, ein Fleischwolf esse Fleisch. Die Leute so an der Nase herumzuführen ist unaufrichtig und kontraproduktiv.

SPIEGEL: Was muss geschehen, damit aus dem Verarbeiten von Text wirkliches Lesen wird?

Hofstadter: Genau davon handelt die Forschung, die ich hier in Bloomington seit Jahrzehnten betreibe. Wobei unser Ziel nicht darin besteht, Computer intelligent zu machen. Das wäre viel zu schwierig. Wir wollen die fundamentalen Prinzipien des Denkens verstehen.

SPIEGEL: Aber die IT-Industrie interessiert sich nicht dafür?

Hofstadter: Mit den meisten Leuten dort ist eine Verständigung unmöglich. Ihre Ziele unterscheiden sich so radikal von den meinen, dass es ist, als kämen wir von verschiedenen Planeten.

SPIEGEL: In Deutschland läuft mit Erfolg der Kinofilm "Her". Ein Mann verliebt sich darin in die weibliche Stimme eines Betriebssystems, weil diese Stimme ihm suggeriert, er habe es mit einer echten Frau zu tun. Wie weit ist es Ihnen bereits gelungen, auf Ihren Computern echtes Verständnis und echte Einsichten zu programmieren?

Hofstadter: Erlauben Sie mir zunächst noch ein Beispiel: Der Schachcomputer "Deep Blue", ein Vorgänger von "Watson", ist 1997 gegen den damaligen Schachweltmeister Garri Kasparow angetreten. Das System ging als Sieger aus der Partie hervor, weil es mit brachialer Rechenkraft Abermillionen Stellungen pro Sekunde im Voraus berechnete. Mit der Art, mit der Kasparow Schach spielt, hat das allerdings überhaupt nichts zu tun. Nun stellen Sie sich dagegen einen Computer vor, der Analogien herstellt, genau wie Kasparow es tut: Er sieht eine Gefahr auf dem rechten Flügel, er erkennt einen Bauern als Schwachpunkt seiner Stellung, er denkt darüber nach, wie er das Brett kontrollieren kann. Bisher gibt es keinen Computer, der so etwas könnte, und einen solchen zu bauen ist viel schwieriger, als immer noch schnellere Prozessoren und noch größere Speicher zu bauen. Nun aber Ihre Frage: Haben wir Programme geschrieben, die Einsichten haben? Nun, ich würde sagen: in sehr, sehr eingeschränkter Form schon.

SPIEGEL: Herr Professor Hofstadter, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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