Donnerstag, 17. Mai 2018

Schlanke Vernetzung.

lean management
aus derStandard.at, 16. Mai 2018, 07:00

Intelligente Menschen haben weniger vernetzte Neuronen im Großhirn
Forscher stellen bei MRT-Untersuchung fest: Intelligenz hängt mit Anzahl der Zellfortsätze zusammen

Bochum – Internationale Wissenschafter haben eine paradox klingende Entdeckung gemacht: Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger vernetzt sind die Nervenzellen in seiner Großhirnrinde. Die Forscher um Erhan Genç und Christoph Fraenz von der Ruhr-Universität Bochum gelangten gemeinsam mit Kollegen aus Berlin und den USA zu dieser Erkenntnis, nachdem sie Probanden mit einer besonderen Form der Magnetresonanztomografie (MRT), die Einblicke in die mikrostrukturelle Verschaltung des Gehirns erlaubt, untersucht hatten.

Die Wissenschafter untersuchten die Gehirne von 259 Männern und Frauen mittels Neurite Orientation Dispersion and Density Imaging. Mit dieser Methode konnten sie in der Großhirnrinde die Menge an Zellfortsätzen, sogenannten Dendriten, messen, mit denen eine Nervenzelle Kontakt zu anderen Nerven- zellen aufnimmt. Alle Testteilnehmer absolvierten außerdem einen Intelligenztest. Dann setzten die Forscher die Daten in Beziehung zueinander und stellten fest: Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger Dendriten besitzt er in der Großhirnrinde.

Zweiter Datensatz bestätigt Befund

Anhand eines unabhängigen öffentlich zugänglichen Datensatzes, der im Human-Connectome-Projekt erhoben worden war, bestätigte das Team das nun im Fachjournal "Nature Communications" präsentierte Ergebnis. Der Zusammenhang zwischen Dendritenmenge und Intelligenz trat auch in dieser Stichprobe auf, die rund 500 Leute umfasste.

Mit den neuen Erkenntnissen lassen sich zuvor widersprüchliche Ergebnisse aus der Intelligenzforschung erklären. Diese hatten zum einen ergeben, dass intelligentere Menschen tendenziell größere Gehirne besitzen. "Man ging davon aus, dass größere Gehirne mehr Nervenzellen enthalten und somit eine höhere Rechenleistung erzielen könnten", sagt Genç.

Effiziente Vernetzung

Andere Studien ergaben allerdings, dass intelligentere Menschen, trotz ihrer vergleichsweise hohen Anzahl an Nervenzellen, weniger neuronale Aktivität beim Bearbeiten eines Intelligenztests zeigen als die Gehirne von weniger intelligenten Menschen. "Intelligente Gehirne zeichnen sich durch eine schlanke, aber effiziente Vernetzung ihrer Neurone aus", resümiert Genç. "Dadurch gelingt es, eine hohe Denkleistung bei möglichst geringer neuronaler Aktivität zu erzielen." (red.)

Abstract
Nature Communications: "Diffusion markers of dendritic density and arborization in gray matter predict differences in intelligence."



aus scinexx

Sind kluge Köpfe weniger stark vernetzt? 
Gehirne intelligenter Menschen scheinen schwächer verschaltet zu sein
Weniger ist mehr: Je intelligenter ein Mensch ist, desto weniger vernetzt sind die Nervenzellen seiner Großhirnrinde. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt nun eine Studie mit Beteiligung deutscher Forscher. Demnach ist das Gehirn bei intelligenteren Personen schlank, aber effizient verschaltet. Dies könnte womöglich einige frühere, widersprüchliche Ergebnisse aus der Intelligenzforschung erklären, wie das Team im Fachmagazin "Nature Communications" berichtet.

Die Grundlagen des menschlichen Denkens faszinieren Wissenschaftler und Laien seit jeher. Unterschiede in kognitiven Leistungen werden dabei vor allem auf individuell unterschiedlich ausgeprägte Intelligenz zurückgeführt. Klar ist inzwischen, dass diese Fähigkeit unter anderem durch die Gene beeinflusst wird. Doch was macht ein intelligentes Gehirn genau aus? Das beginnen Forscher erst nach und nach zu verstehen.

Studien haben ergeben, dass intelligentere Menschen tendenziell größere Denkorgane besitzen. Zudem scheint ihr Gehirn bei kognitiven Herausforderungen andere Aktivitätsmuster zu zeigen. Auch die Vernetzung spielt offenbar eine Rolle. So legte eine erst kürzlich veröffentlichte Untersuchung nahe: Bei "Intelligenzbestien" sind bestimmte Hirnregionen stärker miteinander verschaltet, andere dagegen jedoch schwächer vernetzt.

Blick in die Großhirnrinde

Diesem Zusammenhang haben sich nun auch Wissenschaftler um Erhan Genç von der Ruhr-Universität Bochum gewidmet. Dafür untersuchten sie die Gehirne von 259 Männern und Frauen mithilfe einer speziellen Form der Magnetresonanztomografie, dem Neurite Orientation Dispersion and Density Imaging. Dank dieser Methode konnten die Forscher in der Großhirnrinde die Menge an Zellfortsätzen messen, mit denen eine Nervenzelle Kontakt zu anderen Nervenzellen aufnimmt - den sogenannten Dendriten. Alle Probanden absolvierten zudem einen Intelligenztest.

Die Auswertung ergab Überraschendes: Je besser die Teilnehmer im Intelligenztest abgeschnitten hatten, desto weniger Dendriten besaß ihr Cortex. Insgesamt, so scheint es demnach, überwiegt bei intelligenteren Menschen die schwächere und nicht die stärkere Vernetzung im Gehirn. Dieses Ergebnis bestätigte auch ein unabhängiger, öffentlich zugänglicher Datensatz des Human-Connectome-Projekts: In der rund 500 Menschen umfassenden Stichprobe zeigte sich der Zusammenhang zwischen Dendritenmenge und Intelligenz ebenfalls.

Erklärung für Widersprüche?

Nach Ansicht der Forscher könnten die neuen Erkenntnisse einige widersprüchliche Ergebnisse aus der Intelligenzforschung erklären. "Man ging davon aus, dass größere Gehirne mehr Nervenzellen enthalten und somit eine höhere Rechenleistung erzielen", sagt Genç. Andere Studien ergaben allerdings, dass intelligentere Menschen trotzdem weniger neuronale Aktivität beim Bearbeiten eines Intelligenztests zeigen als die Gehirne von weniger intelligenten Menschen.
 

"Intelligente Gehirne zeichnen sich durch eine schlanke, aber effiziente Vernetzung ihrer Neurone aus", resümiert Genç. "Dadurch gelingt es, eine hohe Denkleistung bei möglichst geringer neuronaler Aktivität zu erzielen." Bereits zuvor hatten Wissenschaftler vermutet, dass die geringere Verschaltung bestimmter Hirnbereiche zum Beispiel dabei hilft, sich zu fokussieren und Unwichtiges auszublenden.

Nichtsdestoweniger bleiben noch viele Fragen offen und manch ein Widerspruch ungeklärt. Wie kluge Köpfe wirklich vernetzt sind und ob es das typische intelligente Gehirn überhaupt gibt, das wird Neurowissenschaftler wohl auch in den nächsten Jahren weiter intensiv beschäftigen. (Nature Communications, 2018; doi: 10.1038/s41467-018-04268-8)
(Ruhr-Universität Bochum, 16.05.2018 - DAL)


Nota. - Das ist nun aber wirklich mal eine Neuigkeit! Bislang meinte man, und das war ja auch plausibel: je mehr Synapsen, je weiter die Vernetzung, umso größer die Intelligenz. Nun erfahren wir: Auf die Menge kommt's gar nicht an. Kluge Leute haben ein weniger vernetztes Gehirn. Heißt das nun: je weniger vernetzt, umso intelligenter? Nein nein, es kommt darauf an, dass ein weniger vernetztes Gehirn "effizienter genutzt" wird!

Stellt sich freilich die Frage: Worin besteht die effizientere Nutzung? Wo ist sie lokalisiert, wie ist sie co- diert? Woran erkennt man sie (in ihrem Verfahren, nicht erst in ihrer Leistung)? Anstelle einer Antwort eine neue Frage, und die ist viel schwerer; aber auch interessanter. 

Denn dann läge die 'Intelligenz' schon in der Anlage selbst - nicht erst in ihrer Nutzung. Wäre das materielle Substrat der Intelligenz das schiere Ausmaß der Vernetzungen, stünde sie ja immer noch vor der Aufgabe, sich darin zurechtzufinden - und erst das wäre ihre eigentliche Leistung. Aber es liegt offenbar schon in der Architektur der Vernetzung und ist daher mehr als bloß 'materielles' Subtrat. Es läge bereits ein intelligent design zugrunde.  

Und zu bedenken: Die Architektur ist vermutlich nicht ein für allemal gegeben, sondern plastisch und wird ständig umgebaut.
JE





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