Dienstag, 21. November 2017

"Network neuroscience".

aus Die Presse, Wien,

Das Hirn bleibt ein verzauberter Webstuhl
Intelligenz ist Flexibilität: Das betont jetzt auch eine Forscherschule namens Network Neuroscience.

Was ist Intelligenz? Es gibt bis heute keine Definition. Am ehesten können sich die Psychologen auf eine operative Festlegung einigen: Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst. (So wie Zeit das ist, was eine Uhr misst – wer kennt eine bessere Definition?)

Ein Problem damit: Wenn wir einen Computer so programmieren, dass er gängige IQ-Tests perfekt löst, müssen wir ihm – oder dem Programm – dann nicht hohe Intelligenz zuschreiben? Viele Verfechter der künstlichen Intelligenz beantworten diese Frage – auch wenn sie das vielleicht nicht zugeben – mit Ja. Doch das ist unbefriedigend. Zu unserem Verständnis von Intelligenz gehört Flexibilität. Wer nur gewohnte Aufgaben lösen kann, den sehen wir eher nicht als intelligent an.

Kristallin oder fluid?

Das sehen die Verfechter der Network Neuroscience ganz ähnlich: Dieser Begriff erlebt derzeit einen Hype, kürzlich wurde ein Journal dieses Namens gegründet (vom Verlag MIT Press). Aron Barbey (University of Illinois, Urbana-Champaign) spricht von einer „Network Neuroscience Theory of Human Intelligence“, so heißt auch sein Artikel in Trends in Cognitive Sciences. Von einer Theorie im strengen Sinn kann man wohl noch nicht sprechen, eher von einem Arbeitsprogramm: Barbey meint, dass Intelligenz nicht, wie manche glauben, im präfrontalen Cortex oder in einer anderen Region sitzt, sondern im ganzen Hirn. Sie gründe auch nicht auf einem Netzwerk, sondern auf der Fähigkeit, Netzwerke im Gehirn auf- und umzubauen, von einem Zustand zum anderen. Registriert werden solche Zustände ganz klassisch mit Magnetresonanzspektroskopie, die im Grunde die Durchblutung von Hirnregionen misst.

Barbey unterscheidet kristalline Intelligenz, bei der sich die Topologie der Zustände nicht stark ändert, und fluide, die wohl etwa dem entspricht, was Modepsychologen gern Out-of-the-box-Denken nennen. Sie schwinde im Alter, sagt er.

Es erstaunt immer wieder, wie wenig wir – auch nach diversen „years of the brain“ (das letzte war in der EU 2014) und sogar einer „decade of the brain“ (von George W. Bush 1990 proklamiert) – über das Gehirn wissen. So passen die Sätze des Neurologen C. S. Sherrington aus dem Jahr 1940 noch immer: Einen „enchanted loom“ nannte er das Hirn, „einen verzauberten Webstuhl, in dem Millionen blitzender Schiffchen ein zerfließendes Muster weben, stets ein sinnhaftes Muster, aber nie ein dauerndes“.

Ob diese Poesie so bald konkret wird?


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