Montag, 23. Oktober 2017

Funktioniert das Gehirn wie ein Orchester?

aus derStandard.at, 23. Oktober 2017, 09:47

Gehirn funktioniert wie Orchester
Ein internationales Forschungsteam untersucht die Dynamik der Neuronen im Gehirn – Gammawellen koordinieren Zusammenspiel

Je mehr über die Milliarden von Nervenzellen im Gehirn bekannt ist, desto weniger erscheint ihr Zusammenspiel spontan und zufällig. Welche Harmonie der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten zugrunde liegt, hat die Arbeitsgruppe von Marlene Bartos am Institut für Physiologie veranschaulicht. Die mit einem Kollegen vom Institute of Science and Technology Austria entstandene und im Journal "Nature Communications" publizierte Studie hebt die Rolle von hemmenden Schaltkreisen bei der Entstehung von hochfrequenten Hirnwellen im Hippocampus hervor.

Damit liefert das Team Anhaltspunkte dafür, wie das Gehirn gedächtnisrelevante Informationen verarbeitet. "Forschende vermuten schon länger, dass Frequenzen über 30 Hertz die synchrone Zusammenarbeit verschiedener Zellnetzwerke des Gehirns koordinieren. Bekannt ist auch, dass die Aktivität in diesem Frequenzbereich beispielsweise bei Alzheimer-Patientinnen und -Patienten deutlich reduziert ist", fasst Bartos den Grundgedanken ihrer Forschung zusammen.

Wie Zelltypen verknüpft sind

Wie aber kommt es zu diesen als Gamma-Wellen bezeichneten Signalen an verschiedenen Orten gleichzeitig? Und was konkret bedeutet das für das menschliche Gedächtnis? Als Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der synaptischen Verknüpfungen schauten sich Bartos und ihr Team die Kommunikation zwischen so genannten Interneuronen im Hippocampus von Mäusen genauer an.
Ein Interneuron ist ein zwischen zwei oder mehreren anderen Neuronen liegender Zelltyp mit besonders kurzen Zellfortsätzen, der schnell und effizient eine Fortleitung hemmender Impulse an seine Nachbarzellen bewirken kann. "Vergleichbar zu Instrumentengruppen in einem Orchester gibt es kleine Schaltkreise, an denen inhibitorische Interneurone wesentlich beteiligt sind", erklärt Bartos. "Wie die Aufgabe des Dirigenten, an manchen Stellen beispielsweise die Bläser in den Hintergrund zu rücken, um ihnen im nächsten Moment wieder volles Gewicht zu geben, kann man sich auch ihre Rolle vorstellen."

Auf Signal warten

Wichtigste Beobachtung der Studie war, dass die umliegenden Zellen, wenn sie sich aus ihrem Ruhezustand lösen, empfänglich gegenüber bestimmten Informationen sind. Sie werden dann zur Bildung eines gemeinsamen Aktionspotentials angeregt, sodass ein Signal auf andere Neuronen übertragen werden kann. Dies wiederum lässt sich elektrophysiologisch als Entladung von Gammawellen messen.

"Das Interessante daran ist, dass sich die Mikroschaltkreise nicht ineinander einmischen, sondern parallel verschiedene Informationen, wie zum Beispiel die Attribute Form und Farbe eines Gegenstands, abspeichern oder abrufen können. Dies erlaubt die zeitgleiche parallele Verarbeitung und das Speichern von Information.Wir sind der Meinung, dass auf diese Weise erste Gedächtnisspuren gelegt werden", so Bartos. 

Um dem Gedächtnis wirklich auf die Spur zu kommen, wird es allerdings noch viel mehr Grundlagenforschung benötigen. Bartos und ihr Team arbeiten mit Hochdruck daran, dass ihre Erkenntnisse in ein paar Jahren auch für die Therapie von neurodegenerativen Krankheiten nutzbar sind. (red/idw)

Originalpublikation:
Distance-dependent inhibition supports focality of gamma oscillations 


Nota. - Vergleiche sollen veranschaulischen, Anschaulichkeit soll übersichtlich, also einfacher machen. Der Vergleich mit einem Orchester tut nichts davon. Ein Orchester hat einen Dirigenten, und der Dirigent hat eine Partitur. Das Gehirn hat nichts dergleichen. 

Bleibt: Während einerseits das System als Ganzes kommuniziert, kommunizieren bestimmte Neuronen- gruppen gleichzeitig privilegiert untereinander. Wusste man das bisher noch nicht?
JE 



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