Freitag, 9. Dezember 2016

Der Geist entstand aus einem Gendefekt.

aus nzz.ch, 8.12.2016, 11:46 Uhr

Kleine Mutation - grosses Gehirn
Offenbar hat der Einbau eines einzigen falschen Bausteins in ein Gen zum Grössenwachstum des menschlichen Gehirns beigetragen - und damit zu den kognitiven Höchstleistungen des Menschen.

von Katharina Dellai-Schöb 

Die Frage, wie sich der Mensch von anderen Tieren unterscheidet, beschäftigt die Wissenschaft seit langem. Die einzigartigen kognitiven Fähigkeiten des Menschen basieren auf einem relativ grossen Gehirn, das sich im Lauf der Evolution unter anderem durch die vermehrte Bildung und Vernetzung von Nerven. zellen entwickelt hat. Eine winzige Mutation im Erbgut des Menschen soll dieses verstärkte Hirnwachstum ermöglicht haben, berichten Wissenschafter nun in der Fachzeitschrift «Science Advances».¹


Menschenspezifisches Gen

Unser Erbgut ähnelt in seinem Aufbau einer in sich verdrehten Strickleiter. Die «Holme» werden von einem Phosphat-Rückgrat gebildet und durch «Sprossen» aus vier verschiedenen Basen zusammengehal- ten. Mehrere hundert oder tausend dieser Basen ergeben ein Gen, das die Bauanleitung für ein Protein enthält. Bereits eine kleine Veränderung (Mutation) in einem Gen, etwa der Einbau einer «falschen» Base, kann grosse Auswirkungen haben.

So haben Experimente beispielsweise gezeigt, dass bestimmte Mutationen die Gehirnentwicklung beeinflussen: So fördern sie etwa während der Entwicklung des Neocortex die Bildung von Nervenzellen aus Vorläuferzellen, indem sie deren Vermehrung ankurbeln. Der Neocortex ist jener Teil der Grosshirnrin- de von Säugetieren, der für die kognitiven Fähigkeiten und komplexen Verhaltensweisen entscheidend ist. 

Verschiedene Vorläuferzellen im Neocortex eines Mäuseembryos (links) und eines menschlichen Fötus. (Bild: Florio et al. Sci. Adv. 2016;2:e1601941)

Das Gen ARHGAP11B kurbelt die Vermehrung der Vorläuferzellen im Neocortex natürlicherweise an. Dies haben Marta Florio vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden und ihre Kollegen gezeigt. Es kommt nur beim Menschen vor und tauchte in dessen Abstammungslinie rund eine Million Jahre nach der Abspaltung vom Schimpansen auf. Entstanden ist es durch eine teilweise Verdoppelung eines Gens mit dem Namen ARHGAP11A. Es weist jedoch nicht dieselbe Proteinaktivität auf wie sein «Vorläufer».

Fehlende Bausteine

Auf der Suche nach der Ursache für diesen Unterschied stellten die Wissenschafter fest, dass der sogenannten Boten-RNA von ARHGAP11B 55 Bausteine fehlen. Die Boten-RNA ist die «Blaupause» eines Gens, auf deren Grundlage das Genprodukt entsteht. Nun konnten Florio und ihr Team zeigen, dass diese Bausteine in der DNA-Sequenz des Gens durchaus noch vorhanden sind und demnach erst während der Bildung der Boten-RNA verloren gehen – und der Grund hierfür liegt offenbar in einer einzigen veränderten Base. Laut Florio führt diese nämlich dazu, dass eine molekulare Schere die 55 Bausteine aus der entstehenden Boten-RNA entfernt.

In einem weiteren Versuch stellten die Wissenschafter eine «Urversion» von ARHGAP11B ohne die Mutation her. Deren Boten-RNA enthielt die 55 Nukleotide und zeigte dementsprechend eine ähnliche Proteinaktivität wie die «A-Variante» des Gens, kurbelte aber nicht wie die moderne «B-Variante» die Vermehrung der neuronalen Vorläuferzellen an. Florio und ihr Team schliessen daraus, dass diese Fähigkeit nicht durch die Gen-Verdoppelung vor rund fünf Millionen Jahren zustande gekommen ist, sondern jünger sein muss. Erst die spätere Punktmutation habe die Vergrösserung des Neocortex und damit die Entwicklung der einzigartigen Hirnleistung des Menschen ermöglicht, erklären die Forscher.

¹ Science Advances, Online-Publikation vom 7. Dezember 2016.


Nota. - Seit Darwin und Mendl zu höherer Einheit versöhnt wurden, wissen wir, dass unsere Stammesent- wicklung aus lauter kleinen Webfehlern besteht, die von der gütigen Fee Selektion so zusammengesucht werden, dass wir immer größer, schöner und klüger werden: Das sind die Mutationen, genetische Irrläufer, die pro Generation zu Tausenden entstehen; 99 von 100 davon sind schädlich oder zumindest unnütz, und weil sie ihren Träger belasten, wird er sich - auf die Dauer! - nicht erfolgreich forpflanzen und stirbt aus, und sie mit ihm.

Die sich als nützlich erweisen, verschaffen ihrem Träger einen Fortpflanzungsvorteil und werden schnell zum Erbbestand der ganzen Gattung. Das nennen wir Evolution durch Selektion und erkennen darin eines unserer beliebtesten, weil vorteilhaftesten Naturgesetze: das Positive schlechthin.

Es ändert aber nichts daran, dass es sich um eine Auslese aus lauter Fehlern handelt, die sich nur darum als vortelhaft erweisen, weil sie irgendwann auf äußere Bedingungen trafen, unter denen sich ihre Nachteile in Vorteile verkehrten. Dieses 'Positive' ist eine Verkehrung von Verkehrtem, nämlich ein Negatives, dem gegen die Gesetze der Zufall zu Hilfe kommt! 

Insofern ist meine Überschrift reißerisch. Alles, was uns an uns lieb und teuer ist, verdanken wir solchen Gendefekten, daran ist nichts neu. Und doch wird die Frage, wo die Menschen ihren Geist herhaben, so behandelt, als suchten wir nach einem Topf voll Gold! Was wir suchen, ist eine Missgeburt, die durch einen Zufall auf einen Dunghaufen gefallen und ins Kraut geschossen ist. Und egal, ob gut oder schlecht - es war Zufall, kein 'Gesetz', es hätte unter normalen Umständen gar nicht dazu kommen dürfen. (Der Zufall dürfte in diesem Fall der aus ganz andern Ursachen erworbene aufrechte Gang gewesen sein.)
JE



 

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