Mittwoch, 20. Juli 2016

Unser kosmologisches Standardmodell hat sich leider bewährt.

Ausschnitt aus der dreidimensionalen Karte zeigt die Verteilung von fast 50000 Galaxien. Die Farben signalisieren den Abstand von der Erde (gelb heisst nah). (Bild: Daniel Eisenstein and SDSS-III)
aus nzz.ch,  
Weltmodell auf dem Prüfstand
Eine dreidimensionale Karte des Weltalls bestätigt, dass unser Universum von dunklen Kräften regiert wird. Bei Kosmologen weckt der Erfolg ihres Standardmodells zwiespältige Gefühle.

von Christian Speicher

In den letzten zwanzig Jahren hat sich in der Kosmologie ein Weltmodell etabliert, das nicht rundum glücklich macht. Zwar wird das Standardmodell der Kosmologie durch verschiedene Beobachtungen gestützt. Da es jedoch zu 95 Prozent auf unbekannter Physik beruht, würden es nicht wenige Kosmologen begrüssen, wenn sich Risse in diesem Theoriegebäude zeigten. Diese Hoffnung ist nun einmal mehr enttäuscht worden. Eine dreidimensionale Karte des Universums, die 1,2 Millionen Galaxien umfasst, zeigt, dass sich das Weltall seit einigen Milliarden Jahren genau so entwickelt, wie es das Standardmodell der Kosmologie erwarten lässt.

Spielball dunkler Mächte

Das Weltmodell, das sich in den letzten Jahren herauskristallisiert hat, fusst auf der Einsteinschen Gravitationstheorie. Es postuliert aber, dass es neben der gewöhnlichen Materie noch andere Materie- und Energieformen geben muss. Da wäre die dunkle Materie, die durch ihre Anziehungskraft massgeblich zur Ausbildung von Strukturen im frühen Universum beigetragen haben soll. Der grosse Gegenspieler der dunklen Materie ist die dunkle Energie. Diese hypothetische Energieform wirkt der Gravitation entgegen und beschleunigt deshalb die Expansion des Universums. Zusammen machen dunkle Materie und dunkle Energie laut Standardmodell über 95 Prozent des Universums aus. Die gewöhnliche Materie der leuchtenden Sterne ist also der Spielball «dunkler» Mächte.

Dieses Bild – so lückenhaft es auch ist – ist in den letzten Jahren immer wieder bestätigt worden. Einen weiteren sehr genauen Test liefert nun der «Baryon Oscillation Spectroscopic Survey» (Boss). In den letzten zehn Jahren hat ein internationales Team von Astrophysikern mit einem Teleskop in New Mexico 1,2 Millionen Galaxien kartiert, die über ein Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren verteilt sind. Die nächstgelegenen Galaxien sandten ihr Licht vor 2 Milliarden Jahren aus, die entferntesten vor 7 Milliarden Jahren. Damit deckt die Untersuchung jene Epoche ab, in der sich die Expansion des Universums zu beschleunigen begann.

Der Wechsel der Perspektive lässt die räumliche Verteilung der Galaxien erkennen, die zwischen zwei und sieben Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. (Bild: Jeremy Tinker and SDSS-III)

Akustischer Fingerabdruck

Die Forscher interessierten sich vor allem für die grossräumige Verteilung der Galaxien in diesem Volumen. Eine aufwendige Analyse zeigt, dass die Galaxien einen ganz bestimmten Abstand voneinander bevorzugen, der mit der Expansion des Universums grösser wird. Man nennt diese charakteristische Längenskala auch akustische Skala, weil sie dem Universum 380 000 Jahre nach dem Urknall durch Schallwellen aufgeprägt wurde. Indem man aus der Galaxienverteilung extrahiert, wie diese Skala mit der Zeit gestreckt wurde, lässt sich im Prinzip die gesamte Expansionsgeschichte des Universums rekonstruieren.

Die Grafik zeigt das Universum zu drei verschiedenen Zeiten. Ganz rechts sieht man den Mikrowellenhintergrund. In den kleinen Unregelmässigkeiten war schon damals die grossräumige Struktur des Universums angelegt. Zu erkennen ist auch das ringförmige Muster, das dem Mikrowellenhintergrund durch Schallwellen aufgeprägt wurde. Mit der Expansion des Universums wächst auch der Durchmesser des Rings, was sich auf die grossräumige Verteilung der Galaxien in späteren Epochen auswirkt. (Bild: E.M. Huff, the SDSS-III team)

Die Auswertung der Daten bestätigt das Standardmodell der Kosmologie auf ganzer Linie: Der bevorzugte Abstand zwischen den Galaxien hat sich im fraglichen Zeitraum just so entwickelt, wie es das Seilziehen zwischen der anziehenden dunklen Materie und der abstossenden dunklen Energie erwarten lässt. Die Erweiterung des Standardmodells um zusätzliche Parameter – etwa zusätzliche Neutrino-Sorten – führte nicht zu einer besseren Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten.

Zudem sind die Daten mit einer Unsicherheit von nur 5 Prozent mit der Vorstellung verträglich, dass die dunkle Energie – was immer sich hinter ihr verbirgt – eine kosmologische Konstante ist. Kompliziertere Modelle, in denen sich die dunkle Energie mit der Zeit verändert, können zwar nicht ausgeschlossen werden, machen die Übereinstimmung mit den Daten aber nicht besser.

Gravitation wie im Bilderbuch

Zu guter Letzt liefern die Daten auch eine Bestätigung der Einsteinschen Gravitationstheorie. In einem expandierenden Universum bewegen sich die Galaxien wie Rosinen in einem aufgehenden Kuchenteig voneinander weg. Daneben haben sie aber auch noch eine Eigenbewegung. Denn die Gravitationskraft zieht die Galaxien dorthin, wo mehr Materie vorhanden ist. Durch die Analyse dieser Eigenbewegung konnten die Forscher zeigen, dass es keine Notwendigkeit gibt, die Einsteinsche Gravitationstheorie auf kosmischen Skalen zu modifizieren.

Für das Standardmodell der Kosmologie sind diese Resultate zweifellos ein Erfolg. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die Natur der dunklen Materie und der dunklen Energie weiterhin rätselhaft bleibt. Möglicherweise hätte man mehr gelernt, wenn sich in den Daten Widersprüche zum Standardmodell angedeutet hätten, sagt Ariel Sanchez vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, der massgeblich an der Untersuchung beteiligt war. Doch man könne sich das Verhalten der Natur nicht aussuchen.

Die Hoffnung vieler Kosmologen beruht nun auf weiterführenden Untersuchungen. Das Nachfolgeprojekt eBoss sammle bereits seit zwei Jahren Daten, sagt Jean-Paul Kneib von der ETH Lausanne, der das Projekt leitet. Mit den ersten Ergebnissen sei in einigen Monaten zu rechnen. Anders als mit Boss werde der Fokus auf der Zeit zwischen 7 und 10 Milliarden Jahren vor heute liegen. Indem man die Expansionsgeschichte des Universums weiter in die Vergangenheit zurück verfolge, sollten sich die Parameter des Standardmodells noch genauer bestimmen lassen. Auf diese Weise, so hofft Kneib, werde man das Wesen der dunklen Energie noch genauer eingrenzen können.

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aus scinexx                      Die baryonischen akustischen Oszillationen hinterließen subtile Schwankungen in der Galaxienverteilung.

Größte 3D-Galaxienkarte verrät Expansion des Kosmos Vermessung von 1,2 Millionen Galaxien spricht gegen eine höhere Hubble-Konstante

Fünf Milliarden Lichtjahre tief und ein Viertel des Himmels groß: Das sind die Ausmaße der bisher größten dreidimensionalen Galaxienkarte, die Astronomen je erstellt haben. Auf Basis von rund 1,2 Millionen Galaxien haben Forscher damit die kosmische Expansion präzise nachgemessen. Das Spannende daran: Ihre Werte für die Hubble-Konstante stimmen zwar gut mit einigen vorherigen überein - nicht aber mit allen.

Sie ist noch immer die große Unbekannte im Universum: die Dunkle Energie. Sie ist die Triebkraft für die Expansion des Kosmos, doch woraus sie besteht und wie stark sie zu verschiedenen Zeiten wirkte, ist weitgehend ungeklärt. Messungen der Expansionsrate sorgen immer wieder für Rätselraten, weil sie je nach Methode deutlich voneinander abweichen.

650 Milliarden Kubiklichtjahre

Ein Team aus hunderten von Astronomen hat nun die bisher umfangreichste dreidimensionale Galaxienkarte fertiggestellt. Die Forscher des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS) hatten bereits vor zwei Jahren erste Vorabversionen dieser Karte genutzt, um die Entfernungen von 1,2 Millionen Galaxien mit einem Prozent Genauigkeit zu vermessen – so präzise wie nie zuvor.

"Zehn Jahre lang haben wir Messungen von 1,2 Millionen Galaxien über ein Viertel des Himmels hinweg gesammelt, um damit die Struktur des Universums in einem Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren zu kartieren", sagt Jeremy Tinker von der New York University, einer der Leiter des Projekts. Die jetzt abgeschlossene Karte zeigt Galaxien aus der Zeit von vor zwei bis sieben Milliarden Jahren und erfasst damit eine entscheidende Zeit: Bisherigen Erkenntnissen nach nimmt die kosmische Expansion seit etwa fünf bis sechs Milliarden Jahren an Tempo zu.

"Eingefrorene" Dichtewellen als Messlatte

Um die Ausdehnungsrate und damit die Wirkung der Dunklen Energie zu messen, analysieren die Forscher in der neuen Karte subtile Schwankungen in der Verteilung der Galaxien. Sie entstanden durch Dichtewellen im frühen Kosmos, sogenannte Baryonische Oszillationen. Rund 400.000 Jahre nach dem Urknall brach die Kopplung von Licht und Materie jedoch zusammen, so dass das Muster dieser Dichtewellen quasi "eingefroren" wurde.

Genau das ermöglicht die Messung der kosmischen Expansion: Weil sich diese primordialen Dichtewellen sowohl in der kosmischen Hintergrundstrahlung als auch in der späteren Galaxienverteilung widerspiegeln, können Forscher durch Vergleiche beider auf die seither erfolgte Expansion schließen.

Diskrepanzen bei der Expansion

Das Ergebnis: Die BOSS-Forscher kommen auf einen Wert der Hubble-Konstante von 67,6 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec (km/s/Mpc). Damit aber liegen sie sehr nahe an dem Wert von 67,15 km/s/Mpc, den der Planck-Satellit im Jahr 2013 ermittelt hatte – und deutlich niedriger als die erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse eines Teams, das die Expansion anhand von Supernovae und veränderlichen Sternen bestimmt hatte.

"Unsere Karte sagt uns, dass sich der Einfluss der Dunklen Energie in dem von uns betrachteten Zeitausschnitt sehr langsam, wenn überhaupt, verändert hat", erklärt Florian Beutler von der University of Portsmouth. 

Die Auswertungen der Galaxienkarte scheinen damit das klassische Modell eines flachen Universums mit kalter, Dunkler Materie (ΛCDM) zu bestätigen. Nach diesem halten sich der Einfluss der Masse und der Dunklen Energie so die Waage, dass die Expansion erst nach unendlich langer Zeit stoppen wird. Auch das von den Forschern beobachtete Verhalten der Galaxien entspricht genau den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie.

Offene Fragen bleiben

Die Diskrepanzen mit den neuesten Supernovae-Messergebnissen der Hubble-Konstante bleiben damit jedoch bestehen. "Ob dies mit einer Kombination aus statistischen und systematischen Fehlern erklärt werden kann oder ob das flache ΛCDM-Modell zusammenbricht, ist eine spannende offene Frage", konstatieren die Forscher.

In jedem Falle hat sich die neue Galaxienkarte schon jetzt als ein wertvolles Werkzeug der Kosmologie erwiesen: "Wir glauben, dass der Baryon Oscillation Spectroscopic Survey einen wichtigen kosmologische Meilenstein markiert, indem er präzise Messungen der Materieverteilung in einem enormen Volumen des Kosmos mit detaillierten Modellierungen und Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds verbindet", so das Fazit der Astronomen. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, in press; arXiv:1607.03155)

(Lawrence Berkeley National Laboratory / BOSS, 15.07.2016 - NPO)


Nota. - Am liebsten wäre den Naturwissenschaftlern ein Modell, das einfach und schön ist.

Das macht sie sympathisch. Aber unschuldig ist es nicht: denn sie liebäugeln heimlich immer wieder mit einem intelligent design, und danach sieht das gegenwärtige Standardmodell mit all seinen Ungleichgewichten, notwendigen Zusatzannahmen, diskreten Größen und Regelwidrigkeiten ganz und gar nicht aus. 

Einfach und schön, das sind ästhetische Maßstäbe, und dass sie unserer Intelligenz als ihr eigenes Ideal vorschweben, ist am Ende vielleicht deren ultimative Rechtfertigung. Aber sie kann sich doch nicht selber zum Maßstab des Universums aufwerfen; wie ein Zwölfjähriger, den der Hafer sticht!
JE  

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