Donnerstag, 5. Mai 2016

'Information' als Wortschleier.

aus NZZ, 10. 10. 06 

Information als Legende 
Peter Janichs philosophischer Einspruch

von Bernhard Dotzler

Ein Missstand mehr in der Welt. Zu den vielen Unseligkeiten, die uns die beste aller Welten vergällen, zählt nach Ansicht des Marburger Philosophen Peter Janich auch die Inflationierung des Informationsbegriffs. «Allgegenwärtig», sagt er, «ist die Legende von der Naturalisierung der Information»: «Ob als Grundbegriff von Theorien des Kultürlichen oder als natürliche Erbinformation, ob als Namengeber einer jungen Wissenschaft oder als Politikum, ob als Bezugspunkt einer gewaltigen Technologie oder als Fixpunkt einer wirtschaftlichen Heilsbotschaft, die Legende von der Information hat viele Formen, Erzähler und Adressaten.»

Ginge es nur um diese Häufung, wäre Janichs Buch freilich nichts als ein Teil des inkriminierten Übels. Aber die Kritik gilt dem, was sein Autor die «Naturalisierung» der Information nennt, sowie dem Umstand, dass es sich dabei um eine «Legende» handelt. Den faktischen Stellenwert der Informationstechnologie zieht Janich nicht in Zweifel. Nur wenn darüber hinaus eine einseitig natur- und technikwissenschaftliche Zurichtung des Begriffs der Information die Folge ist, soll darin eine gefährliche Fehlentwicklung zu erkennen sein. «Naturalisierung» meint ebendiese Zurichtung. Es sei, klagt Janich an, regelrecht das Programm der Naturwissenschaften, die alleinige und deshalb auch die volle Zuständigkeit für Information zu beanspruchen. Statt dadurch aber zu einer Sache allein von Experten geworden zu sein, habe ausgerechnet dieser naturwissenschaftlich okkupierte Informationsbegriff – so unbemerkt wie effizient – weite Kreise gezogen. Insofern sei «Information als Naturgegenstand» zur «Legende» geworden: zu einer Geschichte, die man für wahr hält, ohne dass ihre Wahrheit gesichert wäre.

Aufklärung, sagt da der Philosoph, tut not. Das Argument, mit dem er sie leisten will, hat eine sehr einfache Grundform. «Information» gehört ursprünglich in den Zusammenhang menschlicher Kommunikation. Der Begriff ist oder war Element «einer Sprache, die üblicherweise nur auf redende und schreibende Menschen angewandt wird». Dasselbe Vokabular wurde dann jedoch herangezogen, um nachrichtentechnische Vorgänge zu beschreiben; und diese technischen Beschreibungen wiederum wurden auf Gebiete wie die Molekularbiologie und die Hirnforschung übertragen. Auf einmal schienen technische Objekte nicht anders als die Bausteine des menschlichen Genoms oder Gehirnzellen Eigenschaften des Menschen zu besitzen. Ja, in der neuen «Werbesprache» geschieht das Gleiche noch mit den einfachsten Dingen: «Da halten bei einem neuen Autotyp Form und Funktion Zwiegespräch, da erkennt ein Shampoo die Nöte des Haares… Immer, so scheint es, dient es der Aufwertung einer Sache, sie als sprachlich, kommunikativ oder kognitiv darzustellen.» So wird «spezifisch Menschliches» einerseits auf alle möglichen Bereiche ausgedehnt, während andererseits dieses Menschliche – Sprache, Kommunikation und Erkenntnis – längst «auf nachrichtentechnische Strukturen» reduziert worden ist.

Man kennt die Stoßrichtung dessen, was hier als «Kritik einer Legende» vorgetragen wird. Dass diese Art von Einspruch gegen den Reduktionismus einer naturwissenschaftlich-technisch dominierten Denk- und Redekultur einer solchen Neuauflage bedurft hätte oder dass er gar mehr hilft als die Regalmeter seit langem geführter Debatten, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Doch gibt es noch eine andere Lesart, welche diesem Buch vielleicht etwas mehr abzugewinnen erlaubt. Es ist auch, so schlicht wie darin verdienstvoll, eine Erinnerung an einige der kanonischen Texte zur Zeichen- und Informationstheorie: Texte von Morris, von Shannon und Weaver, von Wiener, von Turing.

Im Rückgang auf deren Aussagen aber ruft es einen heute fast vergessenen Impuls der Technikentwicklung des letzten halben Jahrhunderts ins Gedächtnis, die anfängliche Hoffnung nämlich, «Maschinen bauen zu können, die in ihren Leistungen von denen des Menschen ununterscheidbar sind». In den Medien werden die zugehörigen Phantasien durchaus noch gepflegt, man denke an Filme wie «I Robot» oder die Fortsetzung von «Ghost in the Shell», die unlängst in den Handel kam. Aber niemand würde die Medien selber für eine Realisierung jenes zweifelhaften Traums halten. Insoweit hat die Internetkultur ihn verdrängt. Das Menetekel trog, sagen die Marketingleute; das Menetekel, sagen die Philosophen, konnte und kann nicht eintreffen. Sieht man dagegen, welche kategorialen Überlagerungen die Menschen- und die Medienwelt dennoch in eins setzen, gilt es zu überlegen, ob es nicht doch längst wahr geworden ist. 

Peter Janich: Was ist Information? Kritik einer Legende. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2006. 181 S., Fr. 27.10.


Nota. Der Schluss ist überheblich. Allerdings ist das rezensierte Buch – womöglich um der Schärfe der Polemik willen – ein wenig halbherzig. –

Was ist falsch daran, wenn ich sage, nachdem ich gegen einen Stein getreten und ihm eine bestimmte Flug-richtung mitgeteilt habe, ich hätte ihm  "Information" gegeben? Es kommt immer auf den Sinnzusammen-hang an, in den diese Formulierung passt oder nicht passt. Es ist mystifizierend und wichtigtuerisch, das Wort in allen erdenklichen und am liebsten jenen Fällen zu gebrauchen, wo es nichts sagt, nämlich keine zusätzliche 'Information' mitteilt. Und wo passt es? Überall da, wo darauf abgesehen wird, dass einem Etwas eine Eigenschaft von außen hinzugefügt wird. Wo ein Organismus eine Eigenschaft sponte sua aus sich heraus entwickelt, ist es sinnlos und irreführend, wenn man sagt, er habe sich selber 'eine Information gegeben'.

Womit das Wort seine eigentliche Spitze nicht an dem bekommt, was es bezeichnet, sondern an dem, was es folglich nicht bezeichnet: Die unter Didaktikern gängige Vorstellung, 'Wissen' käme schlechthin nur als 'Information' zu Stande, entlarvt sich dadurch als später Widerhall des plumpsten philosophischen Dogma-tismus. Tatsächlich geschieht Information ja nicht aus dem Umstand, dass sie 'gegeben' oder 'genommen' wird, sondern indem eine Organismus sie 'sich zu eigen' macht. Erst diese Einsicht macht die Frage nach dem Anteil sinnvoll, den der freie Wille dabei spielt – und der Einfluss, den die Didaktik auf ihn nehmen kann. Merke: Nicht die Nachricht 'in/formiert' den Organismus, sondern ihre Zurkenntnisnahme.  
JE




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