Freitag, 16. Januar 2015

Streicheln und Lausen.

aus derStandard.at,17./18.01.2015

Es muss wieder mehr gekuschelt werden
Sanfte Berührungen fühlen sich gut an und bauen Stress ab. Für Streicheleinheiten existiert ein eigenes Nervennetz, das Forscher zunehmend verstehen lernen

von Juliette Irmer

Göteborg/Wien - Endlich ertönt das leise Sirren, das Rochelle Ackerley anzeigt, dass sie eine Nervenzelle getroffen hat. Zwei Stunden hat die junge Neurophysiologin der Göteborg-Universität gebraucht, um die Nervenzelle am Unterarm der Versuchsperson zu lokalisieren. Je stärker Ackerley die hauchfeine Nadel nun in die Haut drückt, desto höher die Frequenz des Sirrens, desto schneller "feuert" die Nervenzelle ihre Informationen ans Gehirn.

"Ich bin süchtig nach diesem Geräusch", sagt Ackerley, "denn haben wir ein einzelnes Neuron erst positioniert, können wir testen, wie es auf verschiedene Reize wie Wärme, Kälte oder Berührungen reagiert."

Ackerely erforscht den Teil unseres Nervensystems, der für wohlige Gefühle sorgt. Hauptakteure des Kuschelsystems sind die sogenannten C-taktilen Rezeptoren (CT), die angenehme Berührungen wahrnehmen und ihre Signale über eigene Nervenbahnen in die Regionen des Gehirns schicken, die für Gefühle zuständig sind.

Auf behaarter Haut

CT-Neuronen kommen bei Tieren und Menschen in allen behaarten Hautabschnitten vor. Dort finden sich noch andere Rezeptoren, die auf Druck, Schmerz oder Temperatur reagieren. Auf diese Weise weiß das Gehirn, was "draußen" geschieht. Nehmen die Rezeptoren ihren Reiz wahr, leiten sie ihn als elektrischen Impuls an das Gehirn weiter.

Läuft etwa eine Fliege über unseren Arm, aktiviert das parallel zwei unterschiedlich Systeme: Informationen zu Ort, Stärke und Richtung der Berührung erreichen das Gehirn sofort über die schnell leitenden Was-passiert-da-Rezeptoren. Rund zwei Sekunden später - für Nervenzellen ausgesprochen langsam - trudeln die Informationen der Wie-fühlt-sich-das-an-Rezeptoren" ein. "Das schnell leitende System liefert sozusagen die Fakten, die langsamen CT-Fasern die Gefühle", sagt Ackerley.

2002 zeigte der schwedische Forscher Håkan Olausson erstmals, dass es solche Gefühlsrezeptoren geben muss: Eine Patientin, deren schnell leitende Nerven zerstört waren, brachte sie auf die richtige Spur. Berührten die Forscher ihren Unterarm mit einem Pinsel, empfand sie das als angenehm, obwohl sie weder den Ort noch die Richtung der Berührung wahrnehmen konnte.

Ackerley und ihre Kollegen zeigten kürzlich, dass die CT-Neuronen bei einer ganz bestimmten Streichelgeschwindigkeit am sensibelsten reagieren. Dazu ließen die Forscher den Unterarm mehrerer Probanden per Roboter mit verschieden schnellen Pinselstrichen streicheln. Zeitgleich leiteten sie die elektrischen Impulse einer isolierten Nervenzelle ab.

Das perfekte Streicheln

Die CT-Neuronen feuerten am eifrigsten bei einer Geschwindigkeit von etwa fünf Zentimetern pro Sekunde - das entspricht der Geschwindigkeit, mit der eine Mutter ihrem aufgebrachten Kind über den Rücken streichelt, und die generell von den meisten Menschen als besonders angenehm empfunden wird. Auch das Temperaturoptimum der Streichelnerven passt ins Bild: Bei Kälte und Hitze reagieren sie nicht so gut wie bei körperwarmer Temperatur.

Doch wozu existieren Streichelnerven überhaupt? Weil Berührungen für soziale Lebewesen (überlebens-)wichtig sind: So ist die Känguru-Methode, bei der frühgeborene Säuglinge den Müttern unbekleidet auf die nackte Brust gelegt werden, heute weltweit Standard. Die Kinder erkranken seltener und nehmen besser zu.

Sanfte Berührungen und die damit verknüpften positiven Empfindungen stärken die Bindung zwischen Mutter und Kind, zwischen Paaren und führen generell dazu, dass Menschen sich einander näher und verbunden fühlen. "Das war für das Überleben der Menschen in Gruppen wichtig", sagt die Psychologin Anik Debrot von der Universität Fribourg, "bei Affen hat die Fellpflege diese Funktion: Affen lausen sich viel mehr, als es für das Fell nötig wäre. Je öfter sie das machen, desto größer ist der Zusammenhalt zwischen Individuen."

Dass Streicheleinheiten sich positiv auswirken, lässt sich auch physiologisch nachweisen: "Werden Menschen oder Tiere gestreichelt, baut das Stress ab", sagt Debrot, "die Herzfrequenz sinkt, und die Produktion antidepressiver Stoffe im Gehirn wie Serotonin und Dopamin wird angekurbelt."

Wenn Berührung stört

Manchmal werden Berührungen allerdings auch als unangenehm oder gar als sexuelle Belästigung empfunden - wenn einem der Arbeitskollege etwa zu lange über den Rücken streicht. "Ob man eine Berührung als angenehm oder unangenehm empfindet, hängt von vielen Faktoren ab: der Art der Beziehung, dem Geschlecht des Gegenübers, den äußeren Umständen und natürlich davon, an welcher Stelle der Körper berührt wird", sagt Debrot, deren eigene Forschung zeigt, dass die Qualität einer Beziehung, also das gegenseitige Vertrauen, eine wesentliche Rolle beim positiven Empfinden von Berührungen spielt.

Deswegen erscheint der Psychologin das Konzept von Kuschelpartys, wie es in manchen Großstädten heute angeboten wird, als fragwürdig: Dort treffen einander fremde Menschen, um sich gegenseitig zu streicheln und zu massieren - ohne sexuelle Absichten. In einer Gesellschaft, in der die elektronische Kommunikation weiter zunimmt und in der rund ein Drittel der Bevölkerung als Singles lebt, scheint die Sehnsucht nach Körperkontakt und Streicheleinheiten allerdings groß zu sein: "Als ich kürzlich in Basel spazieren ging, boten ein paar Menschen "free hugs" auf der Straße an. Mein erster Reflex war, wegzusehen und weiterzulaufen", sagt Debrot, "aber dann dachte ich: als Berührungsforscherin muss ich das probieren. Wir haben viel gelacht, und es war angenehm. Dennoch: Kuschelpartys und Co können Berührungen mit einer Bezugsperson niemals ganz kompensieren."




Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen