Montag, 21. Juli 2014

Wahl-verwandt.

Lothar Sauer
aus scinexx

Freunde sind uns auch genetisch ähnlich
So viele DNA-Übereinstimmungen wie bei einem Cousin vierten Grades

Genetische Nähe: US-Forscher haben herausgefunden, dass Freunde sich genetisch verblüffend ähnlich sind. Ihre Übereinstimmungen entsprechen denen eines Cousins vierten Grades – obwohl sie nicht miteinander verwandt sind. Offenbar wählen wir unbewusst diejenigen Menschen als Freunde aus, die auch genetisch zu uns passen. Wie das gelingt, ist allerdings noch rätselhaft, wie die Forscher im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichten.

Wir teilen die gleichen Interessen, haben ähnliche Vorlieben, lachen über die gleichen Dinge und bewegen uns wahrscheinlich auch in ähnlichen Kreisen: Dass wir mit unseren Freunden viel gemeinsam haben, ist nichts Neues. Manchmal gleichen wir ihnen sogar im Typ – ähnlich wie dies bei vielen Ehepaaren der Fall ist. Nicholas Christakis von der Yale University und James Fowler von der University of California in San Diego haben nun erstmals untersucht, ob es auch in punkto Genetik mehr Gemeinsamkeiten mit Freunden als mit Fremden gibt.

DNA von Freunden und Fremden

"Das ist unseres Wissens nach die erste genomweite Analyse von genetischen Korrelationen zwischen Freunden", so die Forscher. Sie nutzten für ihre Analyse Daten der sogenannten Framingham-Herz-Studie, bei der mehrere tausend Teilnehmer über mehr als 50 Jahre hinweg begleitet und untersucht worden sind. Dabei wurden sowohl Daten zu ihrer Lebensweise, ihrer Gesundheit, ihrem Erbgut als auch zu ihren sozialen Beziehungen erhoben – für die Forscher war dies ein echter Glücksfall.

"Wir kennen keinen anderen Datensatz, der sowohl Informationen zu Freundschaften als auch zu Genvarianten im Erbgut enthält", erklären Christakis und Fowler. Sie wählten 1.932 Teilnehmer der Studie aus, die mit jeweils einem oder mehreren anderen Probanden der Gruppe befreundet waren. Dabei wurden nur Freundschaftspaare ausgesucht, die nicht miteinander verwandt waren. Die Wissenschaftler verglichen nun die Übereinstimmungen von Genbuchstaben an insgesamt 466.608 Stellen im Erbgut – sowohl zwischen den Freunden als auch zwischen nicht befreundeten, zufällig ausgewählten Teilnehmerpaaren.

So ähnlich wie Cousins vierten Grades

Das Ergebnis war verblüffend, denn die Ähnlichkeiten unter Freunden reichen offenbar bis ins Erbgut hinein. "Wir haben mehr DNA mit den Menschen gemeinsam, die wir als unsere Freunde auswählen, als mit Fremden in der gleichen Population", sagt Fowler. Die genetische Ähnlichkeit geht dabei über das hinaus, was einfach durch gemeinsame Abstammung oder gleiche Volkszugehörigkeit erklärt werden kann.

Denn wie die Forscher ermittelten, entspricht die Übereinstimmung in der DNA in etwa derjenigen, die wir mit einem Cousin vierten Grades teilen würden. Oder anders ausgedrückt: etwa ein Prozent unserer Gene ist mit denen unserer Freunde identisch. Anhand der Gen-Übereinstimmungen konnte die Forscher sogar blind voraussagen, ob zwei willkürlich ausgewählte Gensätze zu einem Freundespaar gehörten oder zu zwei einander Fremden. 

Riechgene gleich

"Das ist wirklich bemerkenswert: Irgendwie schaffen wir es, aus der Myriade von Möglichkeiten genau die Menschen als Freunde herauszupicken, die uns so ähnlich sind wie Verwandte", sagt Christakis. Wie uns dies gelingt, ist bisher allerdings noch völlig noch unklar. Ein Hinweis ergab sich jedoch, als die Forscher nachschauten, welche Gene besonders oft bei Freunden übereinstimmen – und welche besonders selten.

So zeigte sich, dass Gene für den Geruchssinn überdurchschnittlich viele Ähnlichkeiten zeigten. "Individuen, die Dinge auf die gleiche Weise riechen, könnten sich zu ähnlichen Umgebungen hingezogen fühlen, wo sie sich dann treffen und anfreunden", so die Vermutung der Forscher. So sucht man vielleicht häufiger ein Café auf, weil einem der Kaffeegeruch besonders angenehm erscheint und knüpft dann dort Kontakte.

Immungenetisch möglichst unähnlich

Einen Hinweis auf den Nutzen dieser genetischen Ähnlichkeiten lieferte ein zweiter Fund: Diejenigen, die miteinander befreundet sind, haben meist ziemlich unterschiedliche Immungene, wie die Forscher berichten. Dadurch sind sie beispielsweise gegenüber jeweils anderen Krankheitserregern anfällig. "Sich mit Menschen zu umgeben, die uns in dieser Hinsicht unähnlich sind, könnte eine gute Anpassungsstrategie sein", erklären Christakis und Fowler.

Denn in einer Gruppe von gleich Anfälligen kann sich eine Infektion sehr schnell ausbreiten, oft werden dann alle krank. Sind aber nur wenige für den Erreger anfällig, hemmt dies die Ausbreitung. Die Wahrscheinlichkeit sich anzustecken sinkt. Unbewusst scheinen wir demnach nicht nur die Freunde zu wählen, die uns auch genetisch ähnlich sind, sondern auch gleich solche, die uns gesundheitlichen Nutzen verschaffen. Freundschaft ist damit einmal mehr eine echte Win-Win-Beziehung – und das bis in unsre Gene hinein. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2014; doi: 10.1073/pnas.1400825111)

(PNAS / University of California - San Diego, 15.07.2014 - NPO)


aus Der Standard, Wien, 15.7.2014

Freunde haben ähnliche DNA
Bisher konnten die US-Forscher Nicholas Christakis und James Fowler zeigen, wie sehr Glück oder Fettsucht über soziale Netzwerke vermittelt wird - Nun fanden sie heraus, dass Freunde auch auffällig ähnliche Gene besitzen

Washington/Wien - Es ist ziemlich erstaunlich, was Nicholas Christakis und James Fowler über "Die Macht der sozialen Netzwerke" (so der Titel ihres gemeinsamen Buches) herausgefunden haben. Die beiden US-Sozialwissenschafter konnten nämlich unter anderem zeigen, dass etwa Fettsucht, das Rauchverhalten oder Glück hochgradig sozial ansteckend sind. Mit anderen Worten: Was Freunde und Bekannte in unseren sozialen Netzwerken tun und fühlen, hat weitaus mehr Einfluss auf unser Leben, als wir vermutlich gerne zugeben möchten.

Eine wichtige Datenbasis für die Untersuchungen von Christakis, der an der Yale University forscht, und Fowler (University of California in San Diego) ist die Framingham-Studie, die seit 1948 die Bevölkerung der gleichnamigen US-Stadt unter die medizinische Lupe nimmt. Für ihre neueste Studie hat das Forscherduo insgesamt 1932 Teilnehmer der Studie auf 1,5 Millionen für SNIPs, also Marker für Genvariationen, untersucht und verglichen, ob und wie sich befreundete Personen genetisch ähnlicher sind.

Genetisch Cousins vierten Grades

Das Ergebnis der im Fachblatt "PNAS" veröffentlichten Analysen war eindeutig: Die DNA von Freunden weist größere Ähnlichkeiten auf als von fremden Personen. Sie entspricht in etwa der von Cousins vierten Grades oder von gemeinsamen Urururgroßeltern. Damit lassen sich auf Basis der DNA Freundschaften ähnlich gut vorhersagen wie Fettsucht oder Schizophrenie.

Für die beiden Autoren liegt der Grund für solche genetischen Ähnlichkeiten von Freunden im evolutionären Vorteil, den sie als "funktionelle Verwandtschaft" bezeichnen. In ganz einfachen Worten: Wenn einer Person bei einer ähnlichen Temperatur kalt ist wie ihrem Freund und Feuer macht, dann ist beiden geholfen.

Die beiden Autoren analysierten aber auch, wo die genetische Übereinstimmung von Freunden besonders hoch ist und wo besonders niedrig. Besonders hoch scheint die Ähnlichkeit bei  jenen Genen zu sein, die den Geruchssinn steuern. Die Formulierung "sich riechen können" bekommt dadurch eine genetische Bestätigung. Laut Fowler könnte man das dadurch erklären, dass Menschen mit ähnlichen Geruchspräferenzen sich an ähnlichen Orten aufhalten - also etwa Kaffeeduftliebhaber in Kaffeehäusern. Vermutlich stecke aber noch mehr Evolutionsbiologie hinter dieser auffälligen Affinität.

Besonders niedrig sei umgekehrt die Ähnlichkeit bei Genen, die das Immunsystem kontrollieren. Das könnte evolutionsbiologisch dazu dienen, die Verbreitung von Pathogenen zu unterbinden, vermuten die Autoren. Doch auch in dem Fall können sie über die dahinter liegenden Faktoren nur spekulieren.
Das vielleicht erstaunlichste Resultat der Studie sei schließlich, dass jene Gene mit den größten Übereinstimmungen unter Freunden auch jene Gene sind, die sich am schnellsten evolutionär verändern. Das wiederum deute darauf hin, dass sie soziale Umgebung selbst eine evolutionäre Kraft sei – und die Menschen so etwas wie ein "Metagenom" bilden, wie Christakis formuliert: "Es scheint, dass unsere Fitness nicht allein von unserer eigenen genetischen Konstitution abhängt, sondern auch von der unserer Freunde." (tasch)

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