Samstag, 22. März 2014

Heideggers Schwarze Hefte.

aus Badische Zeitung, 22. 3. 2014

Martin Heidegger, der verblendete Prophet
Über die Vollendung der Neuzeit und das barbarische Prinzip: Heideggerexperte Rainer Marten blättert durch die jetzt erschienenen "Schwarzen Hefte" von Martin Heidegger . 

von Rainer Marten
 
Nicht der Antisemitismus ist neu; neu ist das "barbarische Prinzip". An ihm ermisst sich die Stellung, die dem Judentum in der von Heidegger erdachten Denkgeschichte eingeräumt wird. Die Aufzeichnungen in schwarzen Wachstuchheften, die Heidegger als krönenden Abschluss seines Gesamtwerks vorsah, reichen bis in die siebziger Jahre.
 

Die jetzt erschienenen Bände 94 bis 96 führen zur Wiederbegegnung mit dem weit gehörten Ausrufer des Notstandes, dass der Mensch noch gar nicht er selbst ist. Wie er als Nachdenker und Prophet auftritt, geizt er nicht mit beißender Kritik und makelloser Selbstgerechtigkeit. Im Gleichschwung phantasiereichen Sprachgebrauchs und Denkentwurfs werden die Eckpunkte seines Denkgebäudes in einem fort wiederholt. So hämmert er sich die Gewissheit ein, als einzig wirklich um den Menschen Bemühter auf dem rechten Weg zu sein.
 

Not tue wesentliches Denken und Dichten, wie nicht anders in den "Beiträgen" (1936—1938) zu lesen. Auch bleibt es bei der schmalen Auswahl der Gewährsmänner für seine Denkgeschichte. Wieder sind es Anaximander, Heraklit und Parmenides, die für ihren lichten Anfang einzustehen haben: ein Spruch, drei Fragmente und vier Zeilen eines Lehrgedichts, alles in fragwürdigen Auslegungen, worauf, im Sprung über alles Dunkel der Metaphysik hinweg, knapp vor ihm selbst der Dichter auftritt: Hölderlin, den es zu verklären, nicht zu erklären gelte.

Das dunkle Christentum

Für das Dunkel stehen im wesentlichen Platon (Dialektik und Ideenlehre), Descartes (methodisches Interesse für das Klare und Deutliche) und Nietzsche (Option für das Leben). Mit Nachdruck wird auch das Christentum dem Dunkel zugeschlagen: Der Schöpfergott mache alles gleicherweise zu Geschöpfen; wer Trost suche und christliches Leben bejahe, sei blind für den wahren Notstand.

"Der Deutsche allein kann das Sein ursprünglich neu dichten und denken" – das ist nur konsequent, wenn es einzig Hölderlin und er selbst sind, die für den neuen Anfang stehen. Das macht "die Deutschen" zum Problem, die gezählten 65 Millionen, gehört doch alles Zählbare dem Dunkel zu. Echte Deutsche seien allein die auf geistige Existenz setzenden "Wenigen" und "Künftigen", Brückenbauer zum geistigen Neuanfang.

Hölderlins Hyperion wird Zeuge: "So kam ich unter die Deutschen. (...) Barbaren von Alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion noch barbarischer geworden": zu "allberechnenden Barbaren".

Das ist ganz Heidegger: "Alles ist zu wagen" heißt sein Motto, die Deutschen weist er aber als die zum Wagnis signifikant Unfähigen aus. Untauglich, ihr Schicksal zu übernehmen, verkörperten sie das Unwesen des Menschen. Bodenlosigkeit, Maßlosigkeit, Kleinmütigkeit, Verantwortungslosigkeit und Zuchtlosigkeit, man höre nur, prägten ihre "Unkraft". Wieder gilt Ungeist als Markenzeichen deutscher Kultur. Wird für Heidegger ",Kultur’ (...) zur Grundform der Barbarei" und damit zu einem "Vorzug aller Kulturvölker", dann zielt er bei deutscher Kultur auf den Kulturbetrieb der Nationalsozialisten, zumal auf den durch ihr Kampfblatt "Der Alemanne" vertretenen.

Die Alemannen, "die nicht zu ahnen vermögen, wer Hölderlin ist und wer Hegel und Schelling gewesen", stießen "jetzt zwischen Schwarzwald und Vogesen" nur "breites Gelärm" hinaus. Allein das Land "östlich der Wasserscheide des Schwarzwaldes" sei geistiges Land.

Geistlose Kultur soll die Übernahme völkischen Schicksals nicht unmöglich machen. Im Gegenteil. Als manifestes Unwesen gehört sie zur Geschichte der Wesenswiedergewinnung. "Die größte Gefahr", schreibt Heidegger, "ist nicht die Barbarei und der Verfall, denn diese Zustände können in ein äußerstes hinaus – und so eine Not hervortreiben. " Was der Weltkrieg mit seinen Opfern nicht vermochte, soll jetzt dem Nationalsozialismus gelingen: die Not hervorzubringen, wesentlich zu denken.

Das befördert ihn zum wesensnotwendigen Widerpart deutscher Wesensgewinnung: "Der Nationalsozialismus ist ein barbarisches Prinzip. Das ist sein Wesentliches und seine mögliche Größe. Zwölf Jahrzehnte zuvor sagt Schelling vom "barbarischen Prinzip": Habe ein Volk es "überwunden, aber nicht vernichtet", sei es "die eigentliche Grundlage aller Größe", die unabdingbare Gegenkraft zur "Humanität".
 


Heidegger und Hölderlin

Instrumentalisieren Heidegger und Adorno den Hölderlinvers "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", dann meinen sie das dialektische Prinzip Schelllings: äußerste Negativität als Anstoß zu äußerster Positivität. Je mehr also der Nationalsozialismus sich in Kultur, Wissenschaft, Technik und Ökonomie dem Massenhaften und Berechenbaren ausliefert, umso klarer offenbart sich deutsche Not. Heidegger greift zu Nächstliegendem, um seine Negativität aufzuladen und setzt ihn wesensgleich mit Bolschewismus und Faschismus.

Macht und Machenschaften von Technik und Berechnung werden so in die Totale gehoben. Den Faschismus nennt er, obgleich er den wesenlosen Italienern keine Zukunft einräumt.

Auf den Bolschewismus aber und seine durch Lenin verbürgte Verbindung mit Technik und Zahl kommt er immer wieder zu sprechen, weil er ihn auf dem Hintergrund des "Russentums" sieht. Früh schon habe er sich diesem zugewandt, seiner Einfachheit und weiten Erde. Ihm traut er Wesentliches zu: die Erwartung eines Gottes. Deutsches und russisches Geschick könnten sich verbinden.

Eine Abfuhr erfährt das Angelsächsische, der wesenlose Geist des am Wohlstand gemessenen Glücks. Gesellt sich in den "Schwarzen Heften" zum Begriff der Barbarei der der Brutalitas, dann wird die Unterscheidung von Zerstörung und Verwüstung bedeutsam, von Negativität als Anstoß zur Positivität und für immer bleibender Negativität. Wer höchste geistige Not predigt, die jede Kriegs-, Hungers- und Wohnungsnot überholt, hat zum Hauptgegner den Menschen, der mit dem Leben zurechtkommt. Biedere Demokratie ist vollendete Verwüstung.

Und die Juden, denen Heidegger als Eigenschaften leere Rationalität und Rechenfähigkeit nachsagt? Für ihn stellt sich die metaphysische, nicht rassische Frage nach ihrer "Menschentümlichkeit". Existieren sie, weil "schlechthin ungebunden", weltweit, erhalten sie, als "Weltjudentum", eine eigene Bedeutung: Sie können die "Entwurzelung alles Seienden aus dem Sein als weltgeschichtliche ,Aufgabe’ übernehmen". Anders als für Engländer und Amerikaner hält Heidegger für die Juden die Möglichkeit bereit, einen Beitrag zur menschlichen Wesenswiedergewinnung zu leisten: den Abstoß aus der Zerstörung durch Vollendung der Zerstörung. Genau das ist für ihn die "Wesensvollendung" der Neuzeit.

Auf sie ist die Hälfte aller Gedanken der drei Bände fixiert, die andere Hälfte auf den "Übergang" und "Brückenbau" zum letzten (Neu-)Anfang des Menschen in einer Welt, die keine gegenständlichen, sondern "dingende" Dinge kennt, keine Tatsachen, sondern Ereignisse, keine wahren Aussagen und konkreten Feststellungen, sondern allein die "Wesung des Seyns", durch nichts Seiendes verstellt. Ihr ist die Ankunft des letzten Gottes zugedacht. Das Judentum wird, so sieht es aus, keinen Platz in der "weltenden Welt" finden. Dies Schicksal teilt es mit den barbarischen Deutschen, mit all den "Vielen", mit der "Masse" Mensch.
 


Von Mitmenschlichkeit fehlt jede Spur

Heideggers Denken will ein frommes sein, und so gibt es sich von früh an: Nicht theoretisch Erfassen, sondern schauend Staunen; Vernehmen, nicht Begreifen; Fragen, nicht Erkennen; Hören und Schweigen, nicht Reden und Urteilen. Von Segen und Gnade ist die Rede, auch von Herz. Stille, Verhaltenheit, Inständigkeit – das findet sich gehäuft. Alles ist auf den geistig wesenhaft agierenden Einzelnen zugeschnitten. Von Mitmenschlichkeit fehlt – gezielt – jede Spur. Der Übergang, von den "Wenigen" getragen, dauere lang – das weiß der Prophet, der nicht als Prophet verstanden sein will.

Die Verwindung der Machenschaften von Wissenschaft, Technik und alter Religiosität geschieht nicht "jäh", wie der Anbruch der ganz anderen Welt. Heidegger hat gut dreihundert Jahre im Sinn. Die Jahre 2300 und 2327 werden genannt. Dann hat die Börse in New York für immer ihre Zeit gehabt, der Smog in Peking, das Kraftwerk im Rhein.

Nach der Lektüre der 1240 Seiten der "Schwarzen Hefte" bin ich fassungsloser denn je, wie man diesem Denken in nicht wenigen geistigen Zentren der Welt so viel zustimmende Aufmerksamkeit entgegenbringen kann. Eine Relevanz für die Frage des Menschen nach sich selbst, die keine letzte Antwort finden kann, vermag ich nicht zu erkennen.


Wer geistig mit der Wesensvollendung der Neuzeit als vollendeter Zerstörung spielt, einen letzten Kampf auf Sieg oder Untergang um gelingendes deutsches Seinsdenken und deutschen Volksgott als den letzten Gott mit beachtlicher Denk- und Sprachkunst inszeniert, der hat sich vom Menschen, der wir sind, losgesagt. Das hässliche Wort aus den "Beiträgen", dass der Mensch als Masse "nicht einmal dessen mehr gewürdigt wird, auf einer kürzesten Bahn die Vernichtung zu finden", erscheint wieder in Band 94, mit der Präzisierung, dass der Gott, der sich das versagt, der letzte ist.

Was Heidegger als geistigen, nicht biologischen, Rassismus, Nationalismus und Ethnizismus bis hin zur Trennung von Schwaben und Alemannen vorführt, um seinen denkgeschichtlichen Weitblick als engsten Obere-Donau-Blick zu manifestieren, ist eines Philosophen schlichtweg unwürdig. Man verfolgt den Antisemitismus bei Heidegger so scharf, weil er ein großer Philosoph war. Es ist an der Zeit, diese Größe neu zu überdenken.



Heideggers Denken

Diese Würdigung der "Schwarzen Hefte" durch den Freiburger Philosophen Rainer Marten nimmt den Antisemitismus Heideggers nicht isoliert in den Blick, sondern bettet ihn ein in den seinsgeschichtlichen Entwurf des Messkircher Denkers, der im Nationalsozialismus vorübergehend die Vollendung der Neuzeit im barbarischen Prinzip sah. Marten ist seit 1949 mit dem Verfasser von "Sein und Zeit" befasst – und versteht sich als Anwalt des (einzelnen) Menschen gegen den Propheten.

Martin Heidegger: Gesamtausgabe. Bd 94: Überlegungen II-VI (Schwarze Hefte 1931-1938). 563 S., 68 Euro. Bd 95: Überlegungen VII – XI (Schwarze Hefte 1938/39) 456 S., 48 Euro. Bd 96: Überlegungen XII- XV (Schwarze Hefte 1939- 1941). 286 S., 37 Euro. Hrsg. von Peter Trawny, Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2014.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen