Mittwoch, 26. März 2014

Gravitationswellen.

aus NZZ, 26. 3. 2014

Die Nachwehen der Inflation
Mit dem Nachweis von primordialen Gravitationswellen beginnt in der Kosmologie eine neue Zeitrechnung


von Christian Speicher 

In der kosmischen Hintergrundstrahlung haben Forscher einen Beleg dafür gefunden, dass das Universum kurz nach dem Urknall inflationär gewachsen ist. Manche Forscher sprechen von einer Jahrhundertentdeckung.

Vergangene Woche durfte man einem Ereignis beiwohnen, das in der Welt der Wissenschaft Seltenheitswert besitzt. Die Bicep2-Arbeitsgruppe hatte mit einem Teleskop am Südpol in der kosmischen Hintergrundstrahlung den Fingerabdruck von urzeitlichen Gravitationswellen (also sich wellenförmig ausbreitenden Störungen der Raumzeit) nachgewiesen. Fast alle Forscher, die sich zu der Entdeckung äusserten, waren begeistert. Zwar wurde pflichtschuldig darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse noch der Bestätigung bedürfen. Von der Skepsis, mit der bahnbrechende Entdeckungen oft aufgenommen werden, war diesmal jedoch wenig zu spüren.

Seltene Eintracht

Kosmologen feiern den Nachweis der primordialen Gravitationswellen als Bestätigung für die Inflation. Astronomen freuen sich über eine weitere indirekte Bestätigung, dass die von Albert Einstein postulierten Gravitationswellen existierten. Und die Teilchenphysiker sind aus dem Häuschen, weil die Entdeckung eine Energieskala ins Spiel bringt, auf der mit neuer Physik zu rechnen ist. So viel Eintracht war selten.

Der Nachweis der primordialen Gravitationswellen wirft ein Schlaglicht auf eine noch unerforschte Epoche des Universums. Zur Rettung des Urknallmodells hatte der amerikanische Physiker Alan Guth 1981 postuliert, der heute sichtbare Teil des Universums habe 10-35 Sekunden nach dem Urknall eine kurze Phase der Inflation durchlaufen, in der er sich von subatomarer Grösse auf die Grösse eines Fussballs aufgebläht habe. Mit dieser Hypothese konnte Guth zum einen erklären, warum das Universum flach ist (weil jegliche Krümmung glatt gezogen wird), zum anderen, warum das Universum auf grossen Skalen weitgehend homogen und isotrop ist (weil das heute sichtbare Universum vor der Inflation so kompakt war, dass sich Unterschiede ausgleichen konnten).

Als Erfolg für die Inflation darf man auch werten, dass sie ein Spektrum von Dichtefluktuationen vorhersagt, das sehr gut zu den Temperaturschwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung passt. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal der Inflation. Auch andere kosmologische Modelle prognostizieren ein ähnliches Spektrum an primordialen Dichtefluktuationen. Dazu gehört beispielsweise das zyklische Modell von Paul Steinhardt und Neil Turok aus dem Jahr 2002. Dieses Modell geht davon aus, dass das Universum keinen Anfang hat, sondern unendlich viele Zyklen der Expansion und der Kontraktion durchläuft.

Wie die Forscher der Bicep2-Arbeitsgruppe nun festgestellt haben, weist die kosmische Hintergrundstrahlung aber nicht nur Inflations-typische Temperaturschwankungen auf, sie ist auch auf eine ganz besondere Art polarisiert. Für dieses Polarisationsmuster gibt es im Wesentlichen nur zwei Erklärungen. Entweder wurde es der kosmischen Hintergrundstrahlung durch primordiale Gravitationswellen aufgeprägt, die in der Inflationsphase erzeugt wurden. Oder die kosmische Hintergrundstrahlung wurde erst nachträglich polarisiert, etwa durch die Streuung an Staubpartikeln in der Milchstrasse. Diese Möglichkeit halten die Forscher der Bicep2-Arbeitsgruppe allerdings für sehr unwahrscheinlich.

Für die Kosmologin Ruth Durrer von der Universität Genf steht deshalb fest: Sollten sich die Ergebnisse der Bicep2-Arbeitsgruppe bestätigen lassen, so wäre das ein klares Votum für die Inflation. Das zyklische Modell von Steinhardt und Turok lasse nur ein schwaches Gravitationswellen-Signal erwarten, so Durrer. Damit sei dieses Modell nun ausgeschlossen. Das Gleiche gelte aber auch für viele Inflationsmodelle.

Inflationsmodelle gibt es wie Sand am Meer. Je nachdem, wie stark sich das die Inflation antreibende Feld während der Inflation verändert, machen sie unterschiedliche Aussagen über die Stärke und das Spektrum der Gravitationswellen. Das nun gemessene Gravitationswellen-Signal sei so stark, dass man rund 90 Prozent der sogenannten Small-Field-Modelle ausschliessen könne, schätzt Durrer. Weitere Einschränkungen erhofft sie sich durch eine genaue Vermessung der Grössenverteilung der Gravitationswellen. Kenne man neben der Stärke auch das Spektrum der Gravitationswellen, so lasse sich eine Konsistenzrelation überprüfen, die von einfachen Inflationsmodellen vorhergesagt werde.

Eine neue Energieskala

Nicht minder interessant sind die teilchenphysikalischen Implikationen der neuen Entdeckung. Aus der Messung der Bicep2-Arbeitsgruppe lässt sich ableiten, dass sich die Inflation auf einer Energieskala von 1016 Gigaelektronenvolt abgespielt hat. Damit erschliesst sich den Teilchenphysikern eine Welt, die ihnen mit irdischen Beschleunigern niemals zugänglich sein wird. Es springe ins Auge, dass die Energieskala der Inflation nahezu identisch mit der sogenannten GUT-Skala sei, sagt Thomas Gehrmann von der Universität Zürich. Diese Energieskala taucht in teilchenphysikalischen Modellen auf, die die elektromagnetische, die schwache und die starke Kraft auf eine Urkraft zurückzuführen versuchen. Eine zentrale Vorhersage dieser Modelle ist eine endliche Lebensdauer des Protons. Da ein Protonenzerfall bisher trotz hinreichender Sensitivität der Experimente nicht nachgewiesen worden sei, so Gehrmann, hätten diese Modelle in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. Er könne sich aber vorstellen, dass sie nun wieder Auftrieb erhielten.

Damit ist allerdings nicht gesagt, dass die Inflation zwingend mit neuer Physik einhergehen muss. In den letzten Tagen ist auf dem Arxiv-Preprint-Server eine lebhafte Diskussion darüber entbrannt, ob man die Inflation auch im Rahmen des Standardmodells erklären kann. Die Diskussion geht auf eine Arbeit zurück, die Fedor Bezrukov und Mikhail Shaposhnikov von der ETH Lausanne im Jahr 2008 veröffentlicht haben. Darin wurde gezeigt, dass auch das Higgs-Feld des Standardmodells die treibende Kraft hinter der Inflation sein kann, wenn es in geeigneter Weise an die Gravitation koppelt.

Nach der Publikation der Bicep2-Arbeitsgruppe sei diese Idee vorschnell für tot erklärt worden, sagt Shaposhnikov. Denn in der Arbeit von 2008 sei ein sehr kleiner Wert für die Stärke der primordialen Gravitationswellen vorhergesagt worden. Inzwischen habe man aber festgestellt, dass die Theorie auch mit stärkeren Gravitationswellen verträglich sei. Dafür müsse die Masse des Higgs-Teilchens allerdings sehr nahe bei einem kritischen Punkt liegen, der seinerseits empfindlich von der Masse des Top-Quarks abhänge. Eine solche Feinabstimmung von Parametern geht der Arbeitsgruppe von Lawrence Krauss von der Arizona State University in Tempe allerdings zu weit. In einem Preprint argumentieren die Forscher, dass die Idee, die Inflation alleine mit dem Higgs-Feld des Standardmodells zu erklären, dadurch an Reiz verliere.


ebd.
«Die Stärke des Signals hat uns überrascht»
Jan Tauber, bei der ESA für die Planck-Mission zuständig, äussert sich zum Nachweis von Gravitationswellen durch ein konkurrierendes Experiment

Herr Tauber, die Planck-Arbeitsgruppe hat ebenfalls nach Spuren von Gravitationswellen in der kosmischen Hintergrundstrahlung gesucht. Waren Sie überrascht, dass Ihnen ein konkurrierendes Experiment zuvorgekommen ist?

Es gab Gerüchte, dass die Bicep2-Arbeitsgruppe mit einem aufsehenerregenden Resultat an die Öffentlichkeit treten würde. Insofern traf uns das nicht völlig unvorbereitet. Aber die gesamte Fachwelt war erstaunt, wie stark das von Bicep2 nachgewiesene Signal ist. Die Temperaturdaten des Planck-Satelliten hatten uns Anfang 2013 erlaubt, unter gewissen Modellannahmen eine obere Grenze abzuleiten, die nur halb so gross ist. Die Ergebnisse der Polarisationsmessungen werden wir vermutlich Ende des Jahres publizieren. Dann wird man sehen, ob wir das Resultat der Bicep2-Arbeitsgruppe bestätigen können.

Gibt es denn einen Grund, an den Resultaten zu zweifeln?

Auf den ersten Blick kommt mir die Auswertung sehr solide vor. Zwar gibt es einzelne Punkte, die man noch überprüfen muss. Aber bei der Analyse möglicher Fehlerquellen sind die Forscher sehr sorgfältig vorgegangen.

Was unterscheidet das am Südpol stationierte Bicep2-Experiment vom satellitengestützten Planck-Experiment?

Das Bicep2-Experiment ist dafür ausgelegt, einen kleinen, sehr sauberen Ausschnitt des Himmels mit hoher Empfindlichkeit zu vermessen. Unsere Strategie ist eine andere. Wir vermessen den gesamten Himmel und hoffen, so die geringere Empfindlichkeit unserer Detektoren kompensieren zu können. Der Nachteil ist, dass die Sicht auf den Mikrowellenhintergrund nicht überall so ungestört ist wie in dem kleinen Ausschnitt, den die Bicep2-Arbeitsgruppe gewählt hat. Deshalb müssen wir den störenden Vordergrund von unseren Daten subtrahieren, bevor wir nach primordialen Gravitationswellen und anderen interessanten Signaturen suchen können. Das macht die Analyse unserer Daten deutlich komplexer.

Lohnt sich dieser Aufwand denn, wenn man die gleichen Resultate auch mit einem billigeren 
Teleskop am Boden gewinnen kann?

Bicep2 ist auf ein enges Ziel ausgerichtet, nämlich den Nachweis der sogenannten B-Moden in der kosmischen Hintergrundstrahlung. Unsere wissenschaftliche Zielsetzung ist viel breiter. Ein Beispiel: Mit dem Bicep2-Teleskop lässt sich nur ein kleiner Bereich von Winkelskalen untersuchen. Es gibt in der kosmischen Hintergrundstrahlung aber sehr interessante Signaturen, die sich über grosse Winkelbereiche erstrecken. Solche grossräumigen Signaturen sieht man nur, wenn man den ganzen Himmel vermisst. Und das ist von der Erde aus nicht möglich. Anhand solcher Signaturen wollen wir zum Beispiel mehr über jene Epoche erfahren, in der die Materie im Universum reionisiert wurde.

Für den Nachweis der primordialen Gravitationswellen ist das aber offenbar nicht nötig?

Die Strategie der Bicep2-Arbeitsgruppe war riskant. Denn man musste damit rechnen, dass die Signatur der Gravitationswellen auf mittleren Winkelskalen komplett von einem anderen Effekt überlagert wird. Die Strategie ging nur deshalb auf, weil das Signal so unerwartet stark ist. Ein solches Risiko kann man eingehen, wenn die Kosten für ein Experiment relativ niedrig sind. Bei einem Experiment wie Planck muss man sehr viel konservativer vorgehen.

Was bleibt für die Planck-Arbeitsgruppe jetzt noch zu tun? Bleibt Ihnen nur noch die undankbare Aufgabe, das Resultat der Bicep2-Arbeitsgruppe zu bestätigen - oder es zu widerlegen?

Was die B-Moden betrifft, steht das nun sicherlich im Vordergrund. Es wird aber nicht unser einziges Ziel sein. Die Messungen der Bicep2-Arbeitsgruppe liefern bis anhin nur einen einzigen Parameter. Dieser macht Aussagen darüber, bei welcher Energie die Inflation stattgefunden hat. Ich bin mir sicher, dass wir durch die genaue Vermessung des Polarisationsspektrums über einen grossen Himmelsbereich noch viel mehr über die Inflation und spätere Zeiten lernen können als nur diese eine Zahl. Sie müssen wissen, dass die Inflation eigentlich keine Theorie ist, sondern eine Idee, die sich auf ganz verschiedene Arten realisieren lässt. Es gibt Hunderte von Modellen, und wir hoffen, dass wir diese in Zukunft noch stärker einschränken können.

Würden Sie rückblickend sagen, man hätte die Analyse der Polarisationsdaten forcieren sollen?

Manche Forscher in unserer Arbeitsgruppe sind natürlich enttäuscht, dass wir nicht die ersten waren, die die primordialen Gravitationswellen nachgewiesen haben. Trotzdem sehe ich keine Alternative zu unserem Vorgehen. Wie gesagt ist die Auswertung der Planck-Daten eine komplexe Angelegenheit, gerade auf grossen Skalen. Wir müssen sehr vorsichtig sein. Selbst wenn es Konkurrenzdruck gibt, dürfen wir nicht vorschnell an die Öffentlichkeit gehen. Ich hoffe, dass wir daran auch in Zukunft festhalten werden.

Interview: Spe

Nota.
Dies für den Fall, dass einer meiner Leser versteht, wovon die Rede ist. Dann würde ich ihn um ein paar Erläuterungen bitten; ich verstehe es nicht.
JE 

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