Donnerstag, 6. März 2014

Die Sprache der Neanderthaler.

aus Die Presse, Wien, 6. 3. 2014

In welcher Sprache wohl parlierten die Neandertaler?


„Vor etwa 100.000 Jahren“ habe sich die Frage nach der Entstehung der Sprache nicht gestellt, „weil es keine Sprache gab“. Die sei erst später gekommen, mit einem einzigen Menschen, der sein Gehirn umorganisiert habe: „Nennt ihn Prometheus!“ So stellt sich Noam Chomsky, der mit seiner angeborenen Grammatik ein halbes Jahrhundert lang die Linguistik dominierte, die Geschichte noch 2010 vor: Nur wir „modernen Menschen“ – so nennt uns die Anthropologie – haben Sprache, sie entstand vor 100.000 bis 40.000 Jahren, und zwar auf einen Schlag.

Aber ein isolierter Prometheus hätte sich schwergetan, und vom Himmel fällt nichts in der Evolution: Wann entstand sie also, die Sprache? Sie braucht Hardware und Software, den ganzen anatomischen Apparat, der sie ermöglicht, und die Gene, die diesen steuern. Diese sind selbst bei uns noch weithin unbekannt, man hat einen zentralen Kandidaten, Foxp2. Dieses Gen gibt es im Tierreich oft, aber wir haben es in einer besonderen Variante: Es soll sowohl die Sprache als auch das Sprechen ermöglichen. Aber nicht nur wir haben die Variante, die Neandertaler besaßen sie auch, Svante Pääbo, der das Neandertaler-Genom sequenzierte, zeigte es 2007.

Nun kann ein Gen natürlich noch lange nicht reden machen, erst einmal musste ein hoch komplexer Vokaltrakt aufgebaut werden. An diesem mangelt es etwa den Schimpansen. Von diesen lernen manche in Gefangenschaft durchaus eine Art des Sprechens, eines mit Gesten. Aber eben keines mit der Stimme. Das mag daran liegen, dass Schimpansen und andere Primaten um den Kehlkopf herum große Luftsäcke haben. Wozu sie dienen, weiß man nicht, aber man vermutet mit guten Gründen, dass Luftsäcke beim Artikulieren komplexer Laute hinderlich sind (Journal of Human Evolution, 62, S.1).

Irgendwann in der Evolution wurden sie dann auch abgelegt: Unser ganz früher Ahn, Australopithecus, hatte sie noch, aber beim Homo heidelbergensis – der mutmaßliche gemeinsame Ahn von Homo sapiens und Neandertaler – traten sie vor 600.000 Jahren nicht mehr auf. Die Neandertaler besaßen dann natürlich auch keine. Wie will man das denn wissen? Luftsäcke sind keine Knochen, die sich als Fossilien erhalten. Man kann von einem anderen Knochen rückschließen, dem Zungenbein, dem einzigen Knochen im ganzen Körper, der nicht mit anderen Knochen verbunden ist, an dem aber Sehnen, Muskeln ansetzen, mit denen die Zunge gesteuert wird.

Entkopplung von Atem und Lunge

Dafür sorgt das Zungenbein nur als Vermittler, der Herr über das Sprechen sitzt im Gehirn. Von dort müssen die Instruktionen laufen, etwa an den Atem. Dieser wird bei anderen Primaten von der Lunge gesteuert, aber wer reden können will, muss sich davon abkoppeln. Das läuft über Nervenbahnen, die wieder Spuren in Knochen hinterlassen – bei den Neandertalern die gleichen wie bei uns.

Auch ihr Zungenbein sieht unserem zum Verwechseln ähnlich – es zeigte sich 1983 an „Kebara 2 Neanderthal“, einem 60.000 Jahre alten Fund in Israel. Das brachte Spekulationen über die Sprachfähigkeit der Brüder, sie wurden gedämpft: Nur weil etwas äußerlich gleich aussieht, hat es nicht automatisch die gleiche Funktion. Aber es sieht nicht nur äußerlich gleich aus: Stephen Wroe (University of New England) hat mit Röntgenmethoden das Innere des Kebara-Knochens analysiert, seine Feinstruktur. Diese wächst nicht einfach, sie wird vom Gebrauch der Zunge moduliert und umgebaut. Und sie wurde exakt so umgebaut wie bei uns (PLoS One, e82261).

Ungeklärt ist das noch bei Zungenbeinen von 530.000 Jahre alten H.heidelbergensis aus Spanien. Auch sie sehen unseren ähnlich. Aber etwas anderes weiß man von diesen Menschen schon (Pnas, 101, S.9976): Zum Reden gehört nicht nur das Sprechen, sondern auch das Hören. Und die Ohren von Heidelbergensis waren gebaut wie die unseren und ganz anders als die der Schimpansen: Sie sind besonders sensibel für die Frequenzbereiche bei einem und bei acht Kilohertz, weniger im Bereich von zwei bis vier. Auf diese Frequenzen sind unsere Ohren spezialisiert, und das ist der Bereich der akustischen Information der Sprache.


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