Sonntag, 2. Februar 2014

Selbstkorrigierend, d. h. öffentlich...

Dieter Schütz  / pixelio.de
aus NZZ, 29. 1. 2014

Verifizieren und falsifizieren
Die Wissenschaft als selbstkorrigierendes System stärken
 


von Alan Niederer 

Die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH will die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen in der Biomedizin erhöhen. Dazu schlägt sie konkrete Massnahmen vor. 

Das Problem beschäftigt Wissenschaftsgemeinde und Öffentlichkeit gleichermassen: In der biomedizinischen Forschung lassen sich zu viele Ergebnisse nicht reproduzieren. Das wäre kein Problem, solange die falschen Resultate zeitig erkannt würden. Doch genau das ist oft nicht der Fall - mit der Folge, dass die Irrtümer lange «stehen bleiben» und so manche Nachfolgestudie am Menschen auf wissenschaftlich wackeligen Beinen steht. Dabei ist nicht etwa Forschungsbetrug das Hauptproblem, sondern Fehlentwicklungen im System. Um hier korrigierend einzugreifen, schlägt Francis Collin, Direktor der amerikanischen National Institutes of Health (NIH), in der Fachzeitschrift «Nature» konkrete Massnahmen vor.¹

Heikle Tierexperimente

So sollen die von den NIH unterstützten Wissenschafter künftig einen obligatorischen Kurs in Forschungsmethodik absolvieren müssen. Ein Schwerpunkt werde dabei auf dem Planen, Durchführen, Auswerten und Rapportieren von Labor- und Tierexperimenten liegen. Diese Tätigkeiten sind für Projekte in der sogenannten präklinischen Phase zentral. Laut Collins ist diese Studienphase besonders anfällig für nichtreproduzierbare Ergebnisse. Dies deshalb, weil Arbeiten zur gleichen Frage oft mit verschiedenen Tierstämmen und bei variierenden Umgebungsbedingungen durchgeführt würden. Viele Forscher würden zudem eine «geheime Sauce» einsetzen, um ihr Experiment zum Laufen zu bringen. Dies alles erschwert eine spätere Verifizierung oder Falsifizierung der Ergebnisse durch andere Forscher.


Um das «Nachkochen» der Experimente zu erleichtern, sollen künftig wichtige Details zur Versuchsanordnung und relevante Rohdaten publiziert werden, so eine weitere Forderung des NIH-Chefs. Hier müssten aber auch die Fachjournale Hand bieten. Diese räumten noch immer dem Methodik-Teil zu wenig Platz ein, so Collins. Wichtiger als Studiendetails sei vielen Herausgebern die Brisanz der Ergebnisse. Diese Tendenz sei der wissenschaftlichen Qualität nicht förderlich.

Die NIH suchen auch nach Wegen, um den «Peer-Review»-Prozess, also die Begutachtung von Projekten durch anerkannte Fachkollegen, zu anonymisieren. Damit sollen unbewusste Voreingenommenheit und Befangenheit verhindert werden. Mit «PubMed Commons» soll zudem eine neue Online-Plattform entstehen, auf der Forscher über publizierte Arbeiten diskutieren können.

Falsche Anreizsysteme

Das grösste Problem im Forschungsbetrieb sei allerdings das Anreizsystem, schreibt Collins weiter. So würden Universitäten und Förderagenturen bei ihren Entscheiden noch immer zu stark auf die reine Anzahl an Publikationen in hochrangigen Journalen abstellen. Hier gelte es, neue Kriterien zu finden, um die Qualität und Bedeutung von Forschungsprojekten zu beurteilen. An den NIH soll dazu das von den Forschern auszufüllende Antragsformular so abgeändert werden, dass die Begutachter rasch erkennen können, was der wissenschaftliche Beitrag einer Forschungsarbeit ist. Mit all diesen Massnahmen soll die Wissenschaft als selbstkorrigierendes System gestärkt werden.

¹ Nature 505, 612/613 (2014).

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