Dienstag, 11. Februar 2014

Galileo - vor vierhundertfünfzig Jahren.

aus Der Standard, Wien, 12. 2. 2014

Aufstieg und Fall eines Himmelsstürmers
Am 15. Februar vor 450 Jahren wurde Galileo Galilei geboren - Die Geschichte eines Physikers, der die Kirche vom heliozentrischen Weltbild überzeugen wollte und sich beugen musste

von Thomas de Padova

Am 21. August 1609 steht Galileo Galilei zusammen mit hochrangigen Vertretern der Republik Venedig auf dem Campanile, dem höchsten Bauwerk der Stadt. Voller Zuversicht justiert er sein selbstgebautes Fernrohr. Die Aussicht vom Glockenturm auf die Lagune ist prächtig. Und wie nah erscheint alles durch das neue Vergrößerungsinstrument. "Wenn man das Rohr vor das eine Auge hielt und das andere schloss, sah jeder von uns so deutlich bis Chioggia, Treviso und Conegliano", schwärmt Senator Antonio Priuli. "Man konnte sogar diejenigen unterscheiden, die in der Kirche San Giacomo in Murano ein und aus gingen."


Ein halbes Jahr später ist der Name Galilei in aller Munde. Inzwischen hat er ein noch besseres Fernrohr ausgetüftelt und zum Himmel gerichtet. Galilei hat Gebirge und Täler auf dem Mond entdeckt sowie vier Himmelskörper, die den Planeten Jupiter umkreisen. Die Milchstraße sei "nichts als eine Ansammlung von unzähligen, in Haufen gruppierten Sternen". Obwohl sein Gehalt inzwischen verdoppelt wurde, verlässt der Mathematikprofessor die Republik Venedig inmitten seiner aufsehenerregenden Himmelsbeobachtungen, um in Florenz ein neues Leben zu beginnen: als Hofphilosoph der Medici-Fürsten, für die bereits sein Vater Vincenzo komponierte. Dessen Verbindungen zum Hof und zum künstlerischen Leben in Florenz haben Galileis eigene Karrierewünsche von klein auf geprägt.

Galileo Galilei wurde am 15. Februar 1564 in Pisa geboren. Kaum war die Familie nach Florenz übersiedelt, schickten ihn die Eltern auf eine Klosterschule. Als ältester Sohn sollte er Medizin studieren, zum Unterhalt der Familie und zur Aussteuer für seine beiden Schwestern beitragen. An der Universität Pisa entdeckte er dann seine Liebe zur Mathematik, machte mit mathematischen Kabinettstückchen auf sich aufmerksam und fand Förderer wie den Marchese Guidobaldo del Monte.

Ein Notizbuch Guidobaldos verrät, wie er zusammen mit Galilei im Jahr 1592 die Bewegung von Projektilen erforschte: Sie färbten Kugeln mit Tinte ein und ließen sie über eine schiefe Ebene rollen, sodass farbige Spuren auf der Unterlage zurückblieben. Auf diese Weise wollten sie die mathematische Form jener Flugkurven finden, die für die Artillerie von höchster Bedeutung waren. "Guidobaldos Werkstatt und sein Engagement als Instrumentenbauer, Ingenieur und militärischer Berater beeindruckten ihn nachhaltig", sagt Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin.

Eigene Werkstatt in Padua

In Padua richtete sich Galilei eine Werkstatt ein. Der Palazzo des Mathematikprofessors entwickelte sich zu einer Art Militärakademie. Hier quartierte Galilei adlige Studenten samt Dienerschaft ein und unterrichtete sie in technischem Zeichnen, Festungsbau und Ballistik.

Bei seinen regelmäßigen Ausflügen nach Venedig studierte er im Arsenal die Funktionsweise von Hebewerkzeugen und die Festigkeit von Materialien. In der riesigen Schiffswerft sammelte er jene Erkenntnisse, die Jahrzehnte später in sein bahnbrechendes Werk zur Mechanik, die Discorsi, einfließen sollten.


Galilei war ein gewiefter Praktiker, als er im Jahr 1609 von einer Erfindung aus Holland erfuhr, dem Fernrohr. Der Wissenschaftshistoriker Matteo Valleriani vom Berliner Max-Planck-Institut hat auf der Rückseite eines Briefes eine Einkaufsliste mit seltsamen Gegenständen entdeckt, die Aufschluss darüber geben, wie Galilei das Teleskop zum Forschungsinstrument verfeinerte. "Das kuriose Sammelsurium - Kanonenkugeln, Orgelpfeifen, Tonerde, Filz etc. - verzeichnet jene Utensilien, die Galilei für erforderlich hielt, um mit eigenen Händen neue, bessere Linsen herzustellen", sagt Valleriani.

Auf den Kanonenkugeln konnte er mithilfe der Tonerde gläserne Linsen mit der gewünschten Krümmung schleifen. Die Linsen polierte er anschließend mit Filz, die Orgelpfeifen taugten womöglich als Rohre. Schon Ende 1609 verfügte Galilei über eigene Schleifmaschinen für Teleskoplinsen. Er war der Konkurrenz einen entscheidenden Schritt voraus.

Nach seinen revolutionären astronomischen Entdeckungen trat er dann immer offener für das kopernikanische Weltbild ein. Aber war es mehr als ein mathematisches Weltmodell? Die Debatte darüber, ob sich die Erde tatsächlich um ihre eigene Achse dreht und um die Sonne kreist, ohne dass die Menschen etwas davon merken, zog weite Kreise. Selbst seine Schirmherrin in Florenz, Christine von Lothringen, war beunruhigt und diskutierte mit Galilei darüber, ob das kopernikanische Weltsystem mit der Heiligen Schrift verträglich war oder nicht.

Wortreich legte Galilei dar, warum das Studium der Natur und die Religion auseinanderzuhalten wären. Wenn es aber zu Widersprüchen zwischen ihnen käme, sollte man die Auslegung der Bibel bezüglich der Naturphänomene ändern. Eigenmächtige Auslegungen der Bibel hatte die römische Kirche mit dem Konzil von Trient untersagt. Als sich auch in ihren eigenen Reihen Kopernikaner fanden, schritt die Inquisition ein. Im Jahr 1616 wurde Kopernikus' Werk auf den Index gesetzt, Galilei wurde ermahnt. Bis zum legendären Prozess gegen ihn sollten noch 17 Jahre vergehen. Galilei und die Inquisition: Damit beschäftigen sich bis heute zahlreiche Wissenschafter.

Ein angeblicher Ausspruch

Wissen, "wie es eigentlich gewesen ist" - so hätten wir es auch im Falle Galileo Galileis gern. Als das Diktum des Historikers Leopold von Ranke im 19. Jahrhundert die Runde machte, war ein angeblicher Ausspruch Galileis schon in der Welt: "Und sie bewegt sich doch!" Im Zeitalter der Aufklärung irgendwo aufgetaucht, ist er kaum noch wegzudenken aus populären Darstellungen von Galileis Verurteilung zu Hausarrest durch die römische Kirche. Hier das Licht der Wahrheit, dort die Ignoranz der Kirche - diese scharfe Gegenüberstellung übte auf die sich emanzipierende Wissenschaft einen großen Reiz aus. Da war es schwer zu ertragen, dass Galilei der kopernikanischen Lehre abgeschworen haben sollte. In Lexika des 18. Jahrhunderts hatte man ihn gerade dafür der Schwäche bezichtigt: Galilei hätte die Wahrheit fallenlassen und ein "lächerliches Urteil" über sich ergehen lassen.

So trug jede Epoche eigene Fragestellungen und Deutungen an Galilei heran, die jeweils neue Forschungen nach sich zogen. Als der bedeutende Galilei-Forscher Emil Wohlwill die Prozessakten Ende des 19. Jahrhunderts durchforstete, ließ er sich von zwei Fragen leiten: Hatte die Kirche Dokumente gefälscht, um Galileis Verurteilung irgendwie zu legitimieren? Hatte sie ihm mit Folter gedroht? Wohlwills Studien legten beides nahe. Antworten haben wir bis heute nicht. Wissen, "wie es eigentlich gewesen ist", hat sich als unmöglich erwiesen.

Dennoch sind die am historischen Material gewonnenen Erkenntnisse gewachsen. Neue Facetten von Galileis Forscherpersönlichkeit wie seine geschickte Patronagepolitik sind ins Blickfeld gerückt. Der Höfling verschickte selbstgebaute Teleskope an Fürsten und Kardinäle. Und dieselben Kardinäle, die ihn zunächst feierten, lehrten ihn später das Fürchten. Heute wird der Prozess gegen ihn im Jahr 1633 nicht zuletzt als Folge eines persönlichen Zerwürfnisses mit Papst Urban VIII. angesehen, der ihn zuvor noch als "Bruder" bezeichnet hatte, sich dann aber auf dem Tiefpunkt seines Pontifikats von ihm und anderen Vertrauten hintergangen fühlte. Galilei, ein gefallener Günstling des Papstes.

Thomas De Padova (Jahrgang 1965) wurde in Neuwied am Rhein geboren und studierte Physik und Astronomie in Bonn und Bologna. Er schrieb unter anderem journalistische Texte für den "Tagesspiegel". Mehrere Buchveröffentlichungen, z. B. "Das Weltgeheimnis - Kepler, Galilei und die Vermessung des Himmels" (Piper 2009) und zuletzt "Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit" (Piper, 2013, Cover). Derzeit ist er als Journalist in Residence am renommierten Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin tätig und forscht hier über Albert Einstein. 

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