Mittwoch, 12. Februar 2014

Die Angst im Hirn.

aus Die Presse, Wien, 9. 2. 2014                                                        Foto spiegel-online

Hirnforschung: Im Teufelskreis der Angst 
Durch Experimente mit Patienten, die an Sozialphobienleiden, erkennen Forscher der Medizin-Uni Wien, was im Gehirn der Betroffenen schiefläuft. Die Aktivität der Neuronennetzwerke wird durch funktionelle Magnetresonanztomografie sichtbar gemacht.



Angst kann ein Schutzmechanismus vor bedrohlichen Gefahren sein – sie kann also durchaus gesund sein. Angst kann aber ebenso krank machen: Sie kann weitere Handlungen blockieren, kann nicht vorhandene Furcht auslösen und sich zur Phobie steigern.

Angstzustände entstehen im Gehirn im Wechselspiel der Amygdala (Mandelkern) mit dem Frontallappen des Großhirns, dem präfrontalen Cortex (PFC). Eine negative Rückkoppelung zwischen den beiden Bereichen führt zu einer Beruhigung. Fehlt aber sozusagen diese „Bremse“, dann ist das Kontrollsystem gestört und nimmt das Angstgefühl rasant zu. Entscheidend für die Abläufe in diesem neuronalen System ist die Regulation: Bei gesunden Probanden ist ein hemmendes Netzwerk vorhanden: Die Amygdala aktiviert PFC – und PFC hemmt die Amygdala. Bei Patienten mit Angststörungen aktiviert die Amygdala auch den PFC, in diesen Fällen verstärkt aber PFC die Amygdala, wodurch sich diese Regionen gegenseitig aufschaukeln. 

Regulation des Netzwerks.

Das ist eine neurobiologische Parallele zu den Symptomen, die Angstpatienten erleben: Sie wollen die Angst kontrollieren, infolge des Kontrollverlusts steigert sich diese aber, wodurch ein Teufelskreis der Angst entsteht. Dieser Zusammenhang wurde nun von Ronald Sladky gezeigt – veröffentlicht wurden die Ergebnisse in renommierten Wissenschaftsmagazinen wie „PLoS One“oder „Cerebral Cortex“. Sladky und seine Kollegen von der Medizin-Uni Wien arbeiten in diesen Studien mit Patienten, die unter sozialer Angststörung leiden. Mit funktioneller Magnetresonanztomografie – einer Bildgebungstechnik, bei der 3-D-Filme vom arbeitenden Gehirn gemacht und statistisch ausgewertet werden – untersuchen sie das Gehirnnetzwerk, das bei der Verarbeitung von Emotionen und Gesichtern verantwortlich ist. 

Eine Million Betroffene. 

Die Amygdala ist ein Gehirnteil, der schnell auf mögliche Bedrohungen und andere wichtige Umgebungsreize reagiert. Das Netzwerk steht im Dialog mit dem Frontalhirn in Form einer laufenden gegenseitigen Beeinflussung. Der PFC ist unter anderem für exekutive Funktionen, Motivation, bewusste Handlungen, Sprache, aber auch Moral und das Abschätzen von Konsequenzen verantwortlich. Damit ist er eine wichtige Gehirnstruktur für die bewusste Gefühlsregulation und das Erkennen von Zusammenhängen.

An der Med-Uni Wien sind an der Angstforschung das Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik (Leitung: Wolfgang Drexler) und die Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Leitung: Siegfried Kasper) beteiligt. Sladky selbst ist Kognitionswissenschaftler, er arbeitet am Exzellenzzentrum für Hochfeldmagnetresonanz der Med-Uni (Leitung: Siegfried Trattnig und Ewald Moser; siehe auch Artikel rechts). Die acht Wissenschaftler des von der Österreichischen Nationalbank geförderten Forschungsprojekts kommen aus dem naturwissenschaftlich-physikalischen und dem psychiatrisch-klinischen Bereich. In den Experimenten zur Angstforschung sollten Sozialphobiepatienten und gesunde Probanden Bilder mit emotional ausdrucksstarken Gesichtern bewerten, während die Änderung ihrer Gehirnaktivität gemessen wurde. Die gewonnenen Erkenntnisse über die neuronalen Funktionsweisen im Gehirn sollen nun zu neuen Ansätzen bei Diagnosen und Behandlungsstrategien führen – etwa zu personalisierten Trainingsprogrammen, die den Betroffenen im Alltag helfen sollen, unangenehme Situationen besser zu meistern.

Schätzungen zufolge sind in Österreich bis zu einer Million Menschen irgendwann in ihrem Leben von einer Sozialphobie betroffen. Menschen mit sozialer Angststörung haben unkontrollierbare Angst vor sozialen Konfrontationen oder davor, sich in der Öffentlichkeit zu blamieren. Lampenfieber vor einem Vortrag oder ein leichtes Unbehagen in einer Besprechung, in der jemandem so richtig die Meinung gesagt werden muss, ist ja durchaus normal. Wird diese vermeintliche Schüchternheit aber so stark, dass ein normales Leben nicht mehr möglich ist, spricht man von einer (nicht zu unterschätzenden) Angststörung. So kann sich etwa bei Studierenden im Angesicht des Professors die Prüfungsangst dermaßen steigern, dass sie überhaupt kein Wort mehr herausbringen.

Unbehandelte Sozialphobie ist ein großer Risikofaktor für Depressionen und Alkoholmissbrauch, da Ethanol, der Alkohol in Wein und Bier, angstlösend wirken kann und deswegen zur „Selbstmedikation“ von Betroffenen missbraucht wird. Ethanol stimuliert die GABA-Rezeptoren, welche die wichtigsten hemmenden Bindungsstellen im zentralen Nervensystem sind. „Der Neurotransmitter GABA ist ein im Gehirn vorkommender Botenstoff, eine stärkere Aktivität in diesem System steigert die neuronale Hemmung im Gehirn“, erläutert Sladky.

Alkohol ist eine Chemikalie, welche die GABA-Wirkung imitiert und dadurch die Angst hemmen kann. Auch in der Klinik eingesetzte Beruhigungsmittel erzielen – ohne die starken Nebenwirkungen des Alkoholkonsums – eine ähnliche Wirkung. Bei der Langzeittherapie wird allerdings an den Fehlregulationen im Serotoninsystem gearbeitet.

Durch die Magnetresonanztomografie sind indirekte Aussagen über die Nervenaktivität der Menschen möglich. Detailliertere Erkenntnisse über die genauen neuronalen Funktionsweisen liegen aus Tierversuchen vor. „Wir vermitteln zwischen Grundlagenforschung an Tieren und den Erfahrungen der Klinik“, sagt Sladky. In freier Wildbahn werden Tiere mit Verletzungen in diesen Gehirnbereichen häufig aus der Sozialhierarchie ausgeschlossen und können in der Folge nicht überleben.

Parallelen zwischen Mensch und Tier.

Für Sladky und sein Team sind moderne Bildgebungsmethoden sehr hilfreich, da sie als sicher, schmerzfrei und unschädlich gelten. Auch wenn sie nicht an die Genauigkeiten der Methoden von Tierversuchen heranreichen können, ist es möglich, Parallelen zu ziehen, da sehr viele Grundfunktionen bei Tier und Mensch ähnlich ablaufen. Ein Ziel ist es aber, das bereits vorhandene Wissen verstärkt für Computersimulationen einzusetzen, um die Funktionen und Fehlfunktionen des Körpers besser zu verstehen. 

Ronald Sladky (Jahrgang 1983) hat Informatik an der TU Wien, Kognitionswissenschaften an der Uni Wien studiert und 2012 an der Med-Uni Wien in Medizinischer Physik promoviert. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde er durch seinen Sieg beim 4. Science Slam Vienna mit dem Thema „Ins Hirn einischaun“. Derzeit widmet er sich dem Thema „Netzwerke der Angst: Konnektivitätsanalysen bei Sozialphobie mittels funktioneller Magnetresonanztomografie“.

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