Dienstag, 4. Februar 2014

Der Autist erstickt an Überfülle.

   
aus Die Presse.com, 03.02.2014, 18:28

Autismus: Gehirn zu beredt?
Hirnzellen werden zurechtgestutzt, von Immunzellen, die viele Verbindungen zerstören. Im Autistengehirn ist das anders. 

Bei Menschen, die mit Autismus geschlagen sind, ist die Kommunikationsfähigkeit mit Mitmenschen eingeschränkt, sie nehmen etwa kaum Augenkontakt auf und konzentrieren sich auf den eigenen Körper, oft zerstörerisch, in repetitiven Bewegungen. Woher dieses soziale Defizit kommt, ist ungeklärt – eine Hypothese vermutet, es hänge mit dem männlichen Sexualhormon Testosteron bzw. dessen Konzentration im Uterus zusammen, dafür spricht, dass vor allem Männer betroffen sind –, und was im Detail im autistischen Gehirn schiefläuft, ist auch nur Gegenstand der Spekulation.

Aber nun hat Cornelius Gross (EMBL, Monterotondo) eine Spur gefunden. Die mangelnde Kommunikationsfähigkeit mit anderen Menschen geht mit einer mangelnden Kommunikationsfähigkeit mit sich selbst einher: Die Verschaltung der Nervenzellen, Neuronen, ist zu schwach, zu wenig konzentriert, es sind zu viele von ihnen dauernd im Gespräch. Hinter diesem scheinbaren Paradox stehen die Mikroglia, das sind Zellen im Gehirn, die keine Gehirnzellen sind, sondern Zellen des Immunsystems – Makrophagen, Fresszellen –, sie wandern früh in das sich entwickelnde Gehirn ein und organisieren dort die Abwehr.

Denn die herkömmlichen Waffen des Immunsystems können das Gehirn nicht schützen, sie erreichen es nicht: Das Gehirn ist vom restlichen Körper durch die Blut-Hirn-Schranke getrennt, sie lässt nur extrem kleine Moleküle durch. Das dient dem Schutz, aber wenn doch Krankheitserreger durchkommen, müssen sie bekämpft werden, dafür sind die Mikroglia zuständig.

Nebenstraßen statt Datenautobahn

Und diese wenden sich nicht nur gegen Antigene (sie haben nichts mit Genen zu tun, es sind körperfremde Moleküle), sie gehen auch auf körpereigene Zellen los – Neuronen –, und auf deren Verbindungen, Synapsen. Viele von ihnen schalten sie aus, aber dadurch werden die verbliebenen gestärkt, zurechtgeschnitten – „pruning“ – zu Datenautobahnen. Im Autistengehirn ist das anders, dort sorgen zu wenige Mikroglia für Konzentration, der Datenverkehr verliert sich deshalb auf Nebenstraßen.

So ist das zumindest bei Mäusen, Gross hat es experimentell gezeigt, indem er gentechnisch diese Zellen stillgelegt bzw. stark minimiert hat (Nature Neuroscience, 2.2.): Diese Tiere zeigten, soweit es Tiere zeigen können, die Symptome des Autismus. Aber darauf ist die Macht der Mikroglia wohl nicht beschränkt: Gross vermutet, dass auch viele andere psychische Leiden von ihnen bzw. ihrem Fehlen kommen. (jl)

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