Montag, 6. Januar 2014

Der Philosoph war Antisemit, nicht bloß der Privatmann.

aus NZZ, 6. 1. 2014

Philosophisch verbrämter Antisemitismus
Heideggers «Schwarze Hefte» geben zu reden, bevor sie veröffentlicht sind

von Uwe Justus Wenzel · «Wege - nicht Werke», so lautet das Motto, das Martin Heidegger der Gesamtausgabe seiner Schriften und Vorlesungen vorangestellt wissen wollte. Die Edition, es ist eine Ausgabe «letzter Hand», hat 1975 bei Vittorio Klostermann zu erscheinen begonnen, ein Jahr vor dem Tod des Philosophen. Allmählich neigt sich das Unternehmen - dannzumal über hundert Bände umfassend - seinem Ende zu. Heidegger hatte bestimmt, dass zum Schluss auch seine «Schwarzen Hefte» zu veröffentlichen seien, eine Art Denktagebuch, das er von Anfang der dreissiger bis in die siebziger Jahre hinein geführt hatte. Im kommenden Februar und März sollen die Aufzeichnungen aus den Jahren 1931 bis 1941 in drei Bänden (mit insgesamt über 1300 Seiten) vorgelegt werden. Ihren Schatten werfen sie indes bereits seit längerem voraus.

Gerüchte kursierten, wonach über die philosophischen Motive der bekannten politischen «Verstrickungen» Heideggers im Deutschland nach der Machtübergabe an Hitler Aufschlussreiches zu erfahren sei. Und nun zirkulieren sogar Zitate, die der Herausgeber der «Hefte», Peter Trawny, als Kostproben französischen Heidegger-Experten vertrauensvoll zur Kenntnis gebracht hatte - Zitate, die anscheinend bestätigen, was Karl Jaspers in seiner «Philosophischen Autobiografie» zu berichten wusste: Heidegger habe die Legende von einer jüdischen Weltverschwörung nicht für den «bösartigen Unsinn» gehalten, der sie sei, sondern (in einem Gespräch 1933) eingewandt, es gebe «doch eine gefährliche internationale Verbindung der Juden». Trawny hat nun in einem Artikel in der «Zeit» angekündigt, die Veröffentlichung der «Schwarzen Hefte» werde zeigen, dass Jaspers' Anekdote «einen wahren Kern» enthalte.
 
Die Rede ist nicht - oder nicht nur - von jenem antijüdischen Ressentiment, das in gelegentlichen privaten Äusserungen Heideggers bereits überliefert ist. Ans Licht kommt vielmehr - so deutet Trawny es an - ein philosophisch geadelter, grundierender «seinsgeschichtlicher Antisemitismus», der in eine «erschreckende Dimension» weise. Demnach scheint Heidegger - nicht anders als dem weniger tiefsinnigen Antisemitismus jener Zeit auch - das «Weltjudentum» als Verkörperung der wurzellosen Modernität, des Liberalismus und Kapitalismus gegolten zu haben: als Inbegriff dessen, was ein «anderes» Weltverhältnis zu überwinden hätte, ein Weltverhältnis, das Heidegger sendungsbewusst im Dichten und Denken Griechenlands und Deutschlands Gestalt gewinnen und - zeitweise - in der «deutschen Revolution» von 1933 in die Wirklichkeit drängen sah.

Wenn sich ein gewissermassen systematischer Antisemitismus in Heideggers Denken und Schreiben jener Zeit artikuliert, dann wird auch der Umstand, dass der Philosoph zur Judenvernichtung nach 1945 - weitgehend - geschwiegen hat, in noch schwärzeres Licht getaucht. In Frankreich, wo es noch immer kritiklose Apologeten wie auch besinnungslose Gegner der Heideggerschen Philosophie gibt - mehr vermutlich als in Deutschland -, sind die Gemüter, nachdem einige Zitatfragmente den Weg in die weitere Öffentlichkeit gefunden haben, erhitzt. Eine neuerliche «Heidegger-Affäre» scheint ihren Lauf zu nehmen - es wäre die fünfte seit 1946/47. Von Vorteil wäre es gewiss, die Debatte erst dann fortzusetzen, wenn die Textpassagen im Kontext des gesamten, voluminösen Konvoluts der «Schwarzen Hefte» jener Jahre gelesen werden können.

Eine Frage allerdings drängt sich vorab auf: Warum hat Heidegger die Aufzeichnungen überhaupt in die Gesamtausgabe - und offenbar unverändert - aufgenommen? Die Frage stellt sich auch und besonders vor dem Hintergrund, dass Heidegger - wie Trawny schreibt - «seinen ihm spezifischen Antisemitismus in Texten sekretierte, die er nur wenigen Menschen zur Einsicht überliess». Der Herausgeber, der die Publikation der «Hefte» mit einem Buch über «Heidegger und die jüdische Weltverschwörung» begleitet, erwägt, «ob Heidegger nicht vielleicht zeigen wollte, wie sehr sich eine philosophische Entscheidung versteigen und verirren kann».

Eine solche Spekulation, wie leicht auch immer sie in den Verdacht allzu grosser Nachsichtigkeit geraten mag, liegt angesichts eines Denkers, der die «Irre» und die «Irrnis» für seinsgeschichtlich ebenso unumgänglich wie wahrheitserschliessend hielt, in der Tat nahe. Vielleicht aber ist bei Heidegger auch eine anhaltende Ratlosigkeit im Spiel gewesen - eine Ratlosigkeit, die sich womöglich mit der Hoffnung verband, die Nachwelt möge zu einem «gerechten» Urteil gelangen. Wie dem auch sei: Die letzten Bände der Gesamtausgabe «letzter Hand» wird man kaum buchstäblich als Heideggers letztes Wort in eigener Sache verstehen können.


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