Dienstag, 14. Januar 2014

Das Leben hat kein Optimum.

Carola Langer  / pixelio.de
aus Die Presse, Wien,19.11.2013

Die Evolution nimmt nie ein Ende
Ein seit 25 Jahren laufendes Experiment mit Bakterien zeigt, dass die Anpassung an die Umwelt immer weiter optimiert wird, auch wenn die Umwelt konstant bleibt

1988 begann Molekularbiologe Richard Lenski (Michigan State University) ein Experiment, über das viele Fachkollegen nur die Köpfe schüttelten: Er setzte Bakterien – Escherichia coli – in Nährlösung und ließ sie sich vermehren und vermehren und entwickeln und entwickeln, von jeder achten Generation entnahm er ein paar und lagerte sie im Kühlschrank ein. Nun ist diese Evolution in der Petrischale in der 58. Generation (ungefähr), sie umfasst etwa 1014 Bakterien und hat bisher 10.000 Liter Nährlösung und vier Millionen Dollar verbraucht.

Die waren es wert. Lenskis Bakterien haben schon Grundfragen der Evolution geklärt, etwa die von Stephen J. Gould aufgeworfene, ob die Evolution andere Wege einschlagen würde, wenn sie zweite oder dritte Chancen hätte. Gould war davon überzeugt, aber Lenski hat mit zwölf verschiedenen Bakterienlinien begonnen. Und die schlugen alle den gleichen Weg ein, zumindest im Großen und Ganzen: Allen ging es darum, die Nährlösung möglichst optimal zu verwerten. Im Detail zeigten sich allerdings Unterschiede, manche Bakterien gingen brachialere Wege, sie legten DNA-Reparaturmechanismen still und erhöhten die Mutationsraten.

Es gibt keinen „fitness peak“

Und eine Linie unternahm eines Tages einen großen Sprung, sie kombinierte viele kleine Mutationen zu einer großen und erschloss eine neue Futterquelle: Zuvor hatten diese Bakterien, wie alle anderen auch, in der Nährlösung nur Zucker verwendet, nun nahm die eine Linie auch anderes. Aber auch die anderen hörten mit dem Optimieren nie auf. Und das ist wieder eine Schlüsselfrage der Evolution: Hat sie ein Ende, haben Lebewesen irgendwann ihre Möglichkeiten ausgereizt bzw. vollendet, gibt es einen „fitness peak“? In der Evolution geht es ja um Anpassung an die Umwelt bzw. deren Veränderungen. Aber in Lenskis Experiment änderte sich die Umwelt nie: Seit 25 Jahren ist die Nährlösung gleich, sind die Temperaturen gleich, und Lenski veränderte sich auch kaum.

Und doch steigerten die Bakterien ihre Fitness – gemessen an der Häufigkeit ihrer Reproduktion – ohne Ende, am Anfang rascher, dann langsamer, aber sie tun es bis auf den heutigen Tag: Inzwischen verdoppeln sich sich 1,7-mal so rasch wie am Anfang (Science, 14.11.). „Dieses Experiment bringt immer neue Überraschungen“, kommentiert Lenski, und er möchte gern, dass es fortgesetzt wird: „Wenn Sie jemanden kennen, der ein Eine-Million-Jahre-Experiment finanzieren würde, bringen Sie mich in Kontakt mit ihm.“ (jl)

Nota. 

Die Einsicht ist naturwissenschaftlich gar nicht hoch genug einzustufen: Es gibt für 'das Leben' kein Optimum! Man könnte auch sagen: Das Leben hat kein immanentes Maß. Das klingt noch pathetischer; und erinnert zugleich daran, dass die Vorstellung von einem Zweck der Natur eine heuristische Fiktion ist; weiter nichts.
JE

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