Dienstag, 26. November 2013

"Digital Humanities".


Forschung 2.0 – Positionen der Digitaleninstitution logo Geisteswissenschaften im Diskurs 

Jens Rehländer  
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
VolkswagenStiftung  
 
25.11.2013 10:55 

Die Herausforderungen der Digitalen Geisteswissenschaften ("Digital Humanities") werden im Fokus einer Herrenhäuser Konferenz vom 5. bis 7. Dezember in Hannover stehen. 

Lesen Sie auch das Interview mit Prof. Dr. Gerhard Lauer, Geschäftsführender Direktor des Göttingen Center for Digital Humanities, am Ende dieser Presseeinladung.

Durch den Einsatz von Verfahren und Ressourcen der Digitalisierung eröffnen sich den Geisteswissenschaften neue Chancen: Forscher können beispielsweise von jedem Teil der Welt aus durch die Ruinen von Pompeji wandeln – weil es eine zentrale Datenbank mit Informationen und Bildern sämtlicher Fundstücke und archäologischer Erkenntnisse gibt. Oder sie erforschen die Akustik-Entwicklung und den Eindruck von Räumen aus zerstörten Gebäuden – anhand von originalgetreuen 3D-Rekonstruktionen. Und Historiker können ergründen, welches Bild vom Zweiten Weltkrieg die heutige Jugend hat – indem Computer zahllose Facebook-Einträge auswerten. Die Projekte in den digitalen Geisteswissenschaften sind vielfältig und dienen stets weiterem Erkenntnisgewinn. Welche Ergebnisse lassen sich generieren und welches Wissen kommt abhanden, wenn nicht die richtigen Fragen gestellt werden oder keine Kontextualisierung stattfindet? Das sind einige der Fragen, die in der internationalen Herrenhäuser Konferenz "Digital Humanities" diskutiert werden.


"(Digital) Humanities Revisited – Challenges and Opportunities in the Digital Age"
05. bis 07. Dezember 2013
Auditorium, Tagungszentrum Schloss Herrenhausen, Hannover


Auszüge aus dem Programm:

• 5. Dezember, Jeffrey T. Schnapp: Knowledge Design (Keynote)

Die Werkzeuge der humanistischen Forschung sind genauso zum Gegenstand von Forschung und Experimenten geworden wie die Verbreitungsmethoden. Statistische Methoden nehmen Einfluss auf qualitative geisteswissenschaftliche Forschung von der einen Seite, Grafik- und Informationsdesign von der anderen. Labore entstehen, in denen ein Teamgeist vorherrscht, um die Einzeldisziplinen Forschung, Pädagogik, Publizieren und Praxis miteinander zu verknüpfen. Die einstige Trennlinie zwischen Bibliotheken, Museen, Archiven und dem Klassenraum verschwimmt zusehends; denn das Wissen, das ehemals nur in Druckform vorlag, bewegt sich heute durch diverse Medien frei im Raum. In seinem Vortrag ordnet Schnapp die aktuelle Situation mit Fokus auf einzelne Kernaspekte ein.

• 5. Dezember, Viktor Mayer-Schönberger: The Big Deal About Big Data

Es besteht ein regelrechter Hype um das Thema "Big Data". Jenseits des Hypes kann das, was als "Big Data" bezeichnet wird, sich in einer fundamentalen Verschiebung dessen ausprägen, wie wir die Welt um uns erklären. In seinem Vortrag wird Mayer-Schönberger (Mitautor des Bestsellers "Big Data" sowie des preisgekrönten Buches "Delete: The Virtue of Forgetting in the Digital Age") die bestimmenden Eigenschaften von "Big Data" im Bezug auf Sinn und Verständnis von Realität betrachten und darauf beziehen, wie es die Geisteswissenschaften beeinflussen kann.

• 6. Dezember, Lev Manovich: Looking at One Million Images: How Visualization of Big Cultural Data Helps Us to Question Our Cultural Categories

Wie lassen sich Informationen aus riesigen kulturellen Datensätzen gewinnen, um unsere kulturellen Prämissen und Neigungen in Frage zu stellen? Wie lassen sich große Bildbestände aus Milliarden nutzergenerierter Inhalte für Forschungszwecke einsetzen? Welche neuen theoretischen Konzepte sind notwendig, um mit der neuen Kultur, die im digitalen Zeitalter geboren wurde, umzugehen? Welche Software Perspektiven für explorative Analysen großer Materialsammlungen bietet und wie die Visualisierung großer kultureller Datensätze zu der Frage nach neuen Kategorien für kulturelle Kategorisierungen, wird Manovich in seinem Vortrag erläutern.

• 7. Dezember, Gregory Crane: The Humanities in the 21st Century

Wenn von "Digital Humanities" gesprochen wird, kann dies in die Irre führen; denn sie können in gesonderter Nische betrachtet werden, getrennt von den übrigen Geisteswissenschaften oder gar ihnen gegenüber nicht gleichwertig. Jedoch ist die Welt heute digitalisiert und alle Studenten der Literatur-, Kunst-, Musik- und Kulturwissenschaften müssen von Grund auf überdenken, wie sich das intellektuelle Leben der Gesellschaft fördern lässt. Eine neue Kultur des Lernens ist erforderlich, die gleichzeitig offener und drastischer ist als die, die durch Druckwerke klassisch auferlegt ist.

Das vollständige Programm zum Download finden Sie unter http://www.volkswagenstiftung.de/fileadmin/downloads/programme/Digital_Humanitie....


Interview mit Prof. Dr. Gerhard Lauer, Literaturwissenschaftler, Geschäftsführender Direktor des "Göttingen Center for Digital Humanities" (GCDH) und Mitglied des Programm-Komitees der Konferenz:

Frage: Welche Hinweise, Ergebnisse oder Entwicklungen versprechen Sie sich von der Herrenhäuser Konferenz?

Lauer: Digital Humanities oder genauer die computergestützten Geisteswissenschaften scheinen auf den ersten Blick eine kleine Community zu sein, eben die Nerds. Die Herrenhäuser Konferenz macht deutlich, dass es anders ist. Es gibt eine große Neugierde für neue Wege in den Geisteswissenschaften. Mehr als 250 Teilnehmer sprechen für sich, und mehr noch die vielen Bewerbungen für die Kurzvorträge durch die jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Wir hätten auch dreimal so vielen Vorträgen Platz geben können, soviel Interesse besteht daran, neue Forscherergebnisse vorzustellen. Digital Humanities zieht an. ¬Und natürlich ist es wichtig, dass die noch vielfach verstreute geisteswissenschaftliche Community so verschiedener Fächer zusammenkommt. Die Herrenhäuser Konferenz lässt viel Raum für Gespräche. Es ist nicht die klassische Konferenz mit einem engen Reigen von Vorträgen, sondern ein Ort der Diskussion. Viele Fächer, viele neue Ideen und interessante Köpfe, die neugierig sind auf eine Erweiterung der bisherigen Geisteswissenschaften, das macht die Herrenhäuser Konferenz aus.

Frage: Sie sind Literaturwissenschaftler heute. Welche Fragen wird sich der Literaturwissenschaftler der Zukunft stellen?

Lauer: Noch vor wenigen Jahrzehnten war es aufregend, eine Bibliografie mit einem Telefonkoppler automatisiert durchsuchen zu können. Heute ist es Alltag, Bibliothekskataloge überall auf der Welt mittels Computer zu durchleuchten. Und auf digitale Editionen wird wie selbstverständlich zurückgegriffen, als hätte es diese immer schon gegeben. In den nächsten Jahren wird das alles nicht nur für Texte möglich sein, sondern auch für Bilder, Filme und Objekte. Das alles ändert die Relationen, in denen wir kulturelle Hervorbringungen wahrnehmen und wissenschaftlich bearbeiten. Wenig beachtete Werke, Spezialsammlungen oder Verbindungen zwischen Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte treten plötzlich hervor.

Frage: Spötter behaupten, dass die Literaturwissenschaftler in Zeiten der "Digital Humanities" zu Wörterzählern verkommen...

Lauer: Zum einen sind die Digital Humanities aus der ganz klassischen Auseinandersetzung mit einzelnen, zumeist hochkanonischen Werken hervorgegangen. Zum anderen aber urteilen solche Spötter nicht nur in Unkenntnis der jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit Werken, sondern ebenso in Unkenntnis, was Datenmodellierung, formale Modelle und Statistik zu leisten vermögen – eine typische Überheblichkeit mancher Geisteswissenschaftler gegenüber den in den Naturwissenschaften gängigen Methoden. Wörterzählen gehört zu den sinnvollen Methoden der Textwissenschaften. Man kann mit intelligent konzipierten Wortfrequenzlisten die stilistische Besonderheit eines Heinrich von Kleist ermitteln oder die Unterschiedlichkeit von weiblichen und männlichen Autoren zu einer historischen Zeit bestimmen.

Frage: In Büchern hat die Menschheit ihr Wissen gespeichert und vor allem geordnet. Wie wird das in Zukunft sein, wenn unser Wissen in Datenbanken ruht?

Lauer: Es gibt Bücher, und es gibt Datenbanken. Wie so oft bei neuen Medien treten diese neben die alten. Daher ändert sich auch die Zahl der intensiven Leser seit Jahrzehnten nur unwesentlich. Daraus entstehen nicht nur neue Strukturen, in denen Wissen prozessiert wird. Vielmehr werden Bücher nur ein Speicherformat neben derzeit bereits vielen anderen, nicht nur digitalen Speicherformaten sein.


Weitere Informationen:
http://www.volkswagenstiftung.de/digitalhumanities Weitere Informationen zur Veranstaltung.
http://www.volkswagenstiftung.de/nc/servob/presse/pressedet/ttback/22/article/fo... Die Pressemitteilung im Internet.
http://www.volkswagenstiftung.de/fileadmin/downloads/programme/Digital_Humanitie... Das vollständige Programm zum Download.

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