Samstag, 5. Oktober 2013

Unglaube kann Berge versetzen.

aus NZZ, 5. 10. 2013                                                    Prometheus Unchained (1938) Rockwell Kent

Unglaubensbekenntnis
Kurt Flasch sagt, warum er kein Christ ist.  

Von Friedrich Wilhelm Graf 

1840/41 veröffentlicht David Friedrich Strauss, der radikal kritische Kopf unter den protestantischen Theologen des 19. Jahrhunderts, «Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und im Kampfe mit der modernen Wissenschaft dargestellt». Darin wird die allmähliche Entstehung christlicher Lehrgebäude nachgezeichnet und mit der Dogmenkritik der Aufklärer des 17. und 18. Jahrhunderts die innere Widersprüchlichkeit der alten Kirchenlehre gezeigt. Kurt Flasch, der freundliche Doyen unter den deutschsprachigen Philosophiehistorikern, erwähnt Strauss' wunderbares Buch leider nicht. In seinem persönlich gehaltenen Bekenntnis «Warum ich kein Christ bin» bleibt er in manchen Passagen unter dem Niveau gebotener kritischer Radikalität zurück, das der Hegelianer Strauss einst markiert hat. Dass es in den Lehrgebäuden der christlichen Kirchen nicht nur viele Risse gibt, sondern auch die begrifflichen Fundamente erschüttert sind, deutet Flasch nur an.

Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation. 
C. H. Beck, München 2013. 280 S., Fr. 28.50.

Flasch ist ein heiterer, grosszügiger Mensch, der die Freuden des Lebens zu geniessen weiss. Er kann im Plauderton über schwierige Fragen kundig informieren. Zunächst berichtet er über seine Herkunft aus einem liberal-katholischen Elternhaus in Mainz, das in entschiedener Milieutreue gegen alle ideologischen Verführungen des Nationalsozialismus immun blieb; mit dem in Mauthausen ermordeten Onkel Fritz Bockius hatte man einen Märtyrer in der Familie. Im Frankfurter Studium bei Adorno, Horkheimer und Wolfgang Cramer begann der junge Flasch dann jene «Teile» seines «Kinderglaubens» zu verlieren, die er sich trotz harter historischer Erkenntnisarbeit bewahrt hatte. Gerade die Auseinandersetzung mit Rudolf Bultmanns damals vieldiskutiertem «Entmythologisierungsprogramm» trug dazu bei. Flasch erkannte, dass die historische Kritik der neutestamentlichen Überlieferung nicht konsequent genug war und der Heideggersche Existenzjargon dem Marburger Neutestamentler nur zu «Verkündigungsabsichten» diente. Besuche bei dem Mainzer Neutestamentler Herbert Braun, dem damals radikalsten Bultmann-Schüler, bestärkten Flasch darin, dass man über den sogenannten historischen Jesus, einen jüdischen Reformprediger wie viele andere auch, nur sehr wenig wisse. Jüdische Titel wie «Menschensohn» und «Messias» seien ihm erst später, von seinen frommen Anhängern, zugeschrieben worden, und gewiss seien «Jungfrauengeburt» und «Auferstehung» nur Legenden, um aus der Geschichte eines Scheiterns doch noch eine Siegesgeschichte zu machen. Flasch, damals Lehrer, verliess den äusserst gelehrten Braun mit dem Gefühl, nun wirklich entmythologisiert worden zu sein: «Es war das letzte Mal, dass ich einen Theologen um Rat in Glaubenssachen fragte.»

Argumente

Nach den autobiografischen Passagen skizziert Flasch den Stand der historisch-kritischen Forschung zur Frühgeschichte des Christentums und läuft durch die seit dreihundert Jahren weit offen stehenden Türen der Kritik an biblischen Wundern und Weissagungen. Teils sarkastisch, teils munter plaudernd, zerlegt er die grossen biblischen Mythen von Schöpfung und Fall, stellvertretendem Opfertod und österlicher Auferstehung in ihre widersprüchlichen Einzelteile - ohne Anspruch auf Originalität. Dem grandiosen Kenner vor allem der mittelalterlichen Philosophie und auch Theologie fällt es nicht schwer, die vielen Widersprüche in all den theologischen Systemen zu zeigen, die biblische Gottesvorstellungen durch Anleihen bei Plato und Aristoteles als vernünftig erweisen wollten.

Besonders grossen Spass macht es ihm, den vermeintlich philosophisch gebildeten Dogmatikprofessor Joseph Ratzinger als begrifflich erschreckend schwach zu zeigen. In der Tat, viele Ratzinger-Texte lassen einen erstaunlichen Mangel an Klarheit erkennen. Auch muss man Flasch darin zustimmen, dass das seichte Seelengeschwätz mancher moderner katholischer Glaubenskünder nur peinlich ist. Aber wird dadurch «das Christentum» getroffen? In aller Kritik an den Korrektheitsphantasien traditionalistischer Neukatholiken teilt Flasch doch deren Ansicht, dass man das Christliche primär über Dogmen, Lehren, verbindliche Bekenntnisaussagen definieren müsse. Dies mag katholisch so sein. Doch für viele moderne Protestantismen gilt es nicht, weil sie gerade mit Blick auf etwas so Subjektives, Innerliches wie Glauben auf die radikale Autonomie des Einzelnen setzen.

Flasch lehnt die existenzialistische Rhetorik vom «Sprung in den Glauben» ab. Doch will er kein konfessorischer Atheist, sondern reflektierender Agnostiker sein. Wer über Religion wirklich nachdenken will, müsste freilich sehr viel stärker als Flasch die Eigenart religiöser Symbolsprache deuten. Gewiss, die uralten Bilder und Gottesgeschichten haben immer auch einen widerlichen Autoritätskult gestützt und Repression Andersdenkender erzeugt. Aber sie haben auch den Entrechteten Mut gemacht und den Verzweifelten Hoffnung gegeben. Dass es «das Christentum» nicht gibt, sondern, gerade in der Moderne, höchst unterschiedliche Christentümer, kommt bei Flasch kaum in den Blick. Und warum nur benutzt er die verlogene Formel «die jüdisch-christliche Tradition»?

Bilderschatz

Erst ganz zum Schluss, in einigen kurzen Passagen, deutet der heitere Skeptiker an, dass er sich für manche Geschichten der Bibel und diverse Heiligenlegenden ein «poetisches Wahrheitskonzept» wünscht: «Wer religiöse Reden poetisch nimmt, hat kein Toleranzproblem.» Und wer kein Christ mehr sein wolle, verliere «nicht den Zusammenhang mit der christlichen Kultur. Er achtet ihren Bildervorrat, hört Monteverdis Marienvesper und besucht den frommen Bildersaal der Kunstgeschichte.»

Natürlich darf Kurt Flasch kein Christ mehr sein wollen. Niemand wird in Chartres zur Andacht gezwungen. Doch wer die Legende vom Ehebett der Elisabeth für «noch schöner» hält als die Erzählung vom Rosenwunder der heiligen Elisabeth, bleibt auf seine eigene Weise dem katholischen «Nest» näher verbunden, als er es als Philosoph sein will. Er bewahrt sich jedenfalls seinen Himmel der Heiligen mit ihren vielen schönen Wundergeschichten und Vorbildern. «Ob man nun Christ ist oder nicht: Wer über Christentum nachdenkt, könnte sich auf die vergnügliche Jagd nach solchen Bildern machen.» Dies ist eine Art Flucht ins Poetische, die auch Gläubigen einleuchten kann. 


Nota.

Friedrich Wilhelm Graf ist, Sie ahnen es, ein protestantischer Theologe.
J.E.

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