Donnerstag, 5. September 2013

Eine Philosophie des Humors.

 
aus NZZ, 20. Jul. 2006                                                      Rembrandt, Selbstporträt als Demokrit


Lachen befreit 

Manfred Geiers «Philosophie des Humors»
 
von Ludger Lütkehaus

Es ist vielleicht die hübscheste, jedenfalls die populärste Urszene der Philosophie: Thales von Milet, der ionische Naturphilosoph, fällt vor den Augen einer lachenden jungen thrakischen Magd in einen Brunnen, weil er nicht auf den Boden vor sich, sondern in den bestirnten Himmel über sich blickt. Seitdem gehören die Philosophen bevorzugt zu jener eigentümlichen Spezies Mensch, die Jean Paul mit einem der treffendsten Begriffe seiner Ästhetik die «passiven Humoristen» nennt. 

«Das Lachen der Thrakerin» - so Hans Blumenberg - ist sprichwörtlich geworden. Selbst der «gnitzige», der verschmitzte, aber nicht just humorverdächtige Martin Heidegger hat die Anekdote nacherzählt. Der «Sturz des Protophilosophen» - so wieder Hans Blumenberg - ist offenbar sein unvermeidliches, sein typisches Seinsgeschick.

Subversion

Bei näherer Betrachtung der Anekdote erweist sie sich sogar als noch witziger, als auf den ersten Blick ersichtlich ist, wie sich jetzt Manfred Geiers «Kleiner Philosophie des Humors» entnehmen lässt. Die Thrakerin soll nicht nur witzig, sondern auch ziemlich ansehnlich gewesen sein. Wer dem bestirnten Himmel über sich den Vorzug vor den schöneren Dingen des Lebens hienieden gibt, ist selber schuld, wenn er in den Brunnen fällt. Geier kommentiert, an diesem Punkt vielleicht etwas zu schwergewichtig: «Es ist das befreiende Lachen einer Frau, die in einem kurzen Moment die Gründungslüge der europäischen Philosophie durchschaut: dass die Liebe zur Weisheit mit der Distanzierung von der Lebenswelt erkauft werden müsse.»

Ausserdem nicht zu vergessen: Das Lachen der Thrakerin ist subversiv. Es unterläuft die geltenden Herrschaftsverhältnisse, auch wenn der philosophisch selbstverständlich nicht gebildeten Magd die unfreiwillig parodistische Logik der Geschichte entgehen muss: dass ausgerechnet der Philosoph, der das Wasser zum Urelement aller Dinge erklärt hat, in den Brunnen fällt. Immerhin fühlte sich die männliche Philosophie so von dem Lachen der Thrakerin provoziert, dass Platon, der die Anekdote von Sokrates im Dialog «Theaitet» erzählen lässt, zwar «die artige und witzige thrakische Magd» bekomplimentiert, aber im Übrigen ziemlich säuerlich auf ihren Spott wie den des «Volkes» insgesamt reagiert. Selbst Sokrates, sonst dem Witz, der Ironie und dem Humor weit mehr als sein Schüler Platon zugeneigt, versteht nicht immer Spass, wenn es um die Reputation der eigenen Gilde geht.

Die letzte Pointe der Anekdote ist freilich die, dass die vergnügte Thrakerin eben jenen Typus des Lachens kultiviert, der in der Philosophiegeschichte des Lachens von der Antike bis zur europäischen Aufklärung bestimmend geworden ist: das Auslachen, das Verlachen, das Lachen der Superiorität. So betrachtet, ist die scheinbar antiphilosophische Thrakerin selber Philosophin gewesen. Philosophen wie Mägde kommen offenbar darin überein, dass sie den Kopf gerne oben behalten, selbst, gerade, wenn sie lachen.

Ansteckend

Manfred Geier erzählt von dieser wie zahlreichen anderen Anekdoten und Aperçus aus der Philosophiegeschichte des Humors von Demokrit und Diogenes über Shaftesbury, Wieland und Kant, Schopenhauer und Kierkegaard bis zu Sigmund Freud und Karl Valentin mit jenem urbanen Witz, der schon sein zuletzt erschienenes Buch über «Kants Welt» zu einer so erfreulichen Lektüre gemacht hat. Der Obertitel «Worüber kluge Menschen lachen» gibt sich selbstredend als ironisches Kompliment zu erkennen. Das Lachen der Superiorität ist bei aller Hochschätzung der von Demokrit gestifteten Tradition Geiers Sache weniger. «Zwerchfell statt Descartesscher Zirbeldrüse!» lautet vielmehr die Devise. Wo es um das Lächerliche geht, gibt es meist nur wenig zu lachen. Das inklusive humoristische Lachen, das weiss, dass wir alle früher oder später im Brunnen liegen, dieses Lachen, in dem passive und aktive Humoristen identisch werden, liegt Geier näher. Manchmal hätte man sich bei der Lektüre aber Anlass für eine noch exzessivere Lachlust gewünscht.

Die meist der Humorfreiheit verdächtige deutsche Tradition kommt dank den schönen Wieland-, Kant-, Schopenhauer- und Freud-Porträts (wo bleibt Lichtenberg, wo Heine?) weit erfreulicher als üblich weg. Das glänzende Shaftesbury-Porträt erinnert mit dem «Test of Ridicule», der experimentellen «Probe des Lächerlichen», an jenen Härtetest, von dem sich eine wieder aktualisierte Aufklärung zu Zeiten des grassierenden Fundamentalismus eine unterhaltsamere Form des Überlebens versprechen könnte. Ansteckender als die Verlachstücke philosophischer Superiorität freilich ist in jeder Hinsicht das «Endspiel der Metaphysik», das Geier zum seligen Ende als philosophisches Narrenstück inszeniert, in dem es um buchstäblich nichts geht. Martin (Heidegger), der Martin-Kritiker Rudolf (Carnap) und der kritische Theoretiker Max (Horkheimer) werden hier im Zeichen von Alfred Jarrys «Roi Ubu» mit lauter schönsten Originalzitaten zu passiven Humoristen befördert. Wenn es um nichts, um Nichts geht - und worum geht es am Ende sonst -, dann muss auch die Metaphysik endlich zur «Pataphysik» werden.

Manfred Geier: Worüber kluge Menschen lachen. Kleine Philosophie des Humors. Rowohlt-Verlag, Reinbek 2006. 285 S., Fr. 29.90.

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