Mittwoch, 14. August 2013

Wir sehen, was wir hören.

aus Die Welt, 13.08.13

Wir sehen, was wir hören

Sprache kann unsere Wahrnehmung beeinflussen. So lautet das Ergebnis einer aktuellen US-Studie. Wird ein passendes Stichwort genannt, dann können zuvor unsichtbare Bilder plötzlich bewusst werden.

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Was wir sehen wird nicht nur von unseren Augen bestimmt – sondern offenbar auch von unseren Ohren. Denn Sprache hat nicht nur einen entscheidenden Einfluss darauf, wie schnell wir etwas wahrnehmen. Sie entscheidet ebenso darüber, ob wir ein Objekt überhaupt sehen.

Eine aktuelle Untersuchung von zwei Wissenschaftlern der University of Wisconsin-Madison und der Yale University in New Haven konnte zeigen, dass Sprache zuvor unsichtbare Objekte sichtbar macht.

Die beiden Forscher Gary Lupyan und Emily Ward haben haben dieses Phänomen mit Hilfe der sogenannten kontinuierlichen Flash Suppression untersucht. Dieses Verfahren funktioniert wie folgt: Den Studienteilnehmern werden zunächst Bilder von bekannten Alltagsgegenständen präsentiert – beispielsweise Hunden, Brillen oder Traktoren.

Das Bild wird jedoch nur einem Auge gezeigt. Das andere Auge bekommt stattdessen ein Störbild zu sehen. Dieses Störsignal unterdrückt normalerweise die Wahrnehmung des Alltagsgegenstandes. Das heißt: Wenn das linke Auge ein Störbild sieht, dann sieht das rechte auch keine Brille, keinen Hund und auch keinen Traktor mehr. Zumindest für einen bestimmten Zeitraum blieben diese Alltagsobjekte unsichtbar. 

Worte machen Bilder sichtbar*

Das änderte sich jedoch, wenn die Wissenschaftler ihren Studienteilnehmern vorab ein passendes Wort nannten: Hörten die Probanden vor der Präsentation von Alltags- und Störbild das Wort, dass das Objekt zielgenau beschreibt, wurde das Alltagsbild plötzlich wieder sichtbar. Ruft man einem Studienteilnehmer also "Traktor" zu, bevor er diesen auf dem rechten Auge gezeigt bekommt, dann konnte er ihn auch sehen – trotz des Störbilds auf dem linken Auge.



Nannten die Forscher ihren Probanden allerdings ein falsches Wort, also beispielsweise "Hund", obwohl eigentlich ein Traktor zeigt wurde, dann verschlechterte sich die Wahrnehmungsleistung. Das Alltagsobjekt wurde dann sogar noch schlechter erkannt, als es ohne das Zurufen der Fall war. 

Sinneseindrücke beeinflussen sich wechselseitig

Die gehörten Worte beeinflussten die Leistung der Teilnehmer gleich auf zweierlei Weise: "Das Wort-Label beeinflusste sowohl die Empfindlichkeit, als auch die Antwortzeit", schreiben die Wissenschaftler im Journal "PNAS". Dabei sei die Wirksamkeit der Kennzeichnungen davon abhängig gewesen, wie gut gehörtes Wort und Bild zusammenpassten.

Das richtige Wort kann also ein scheinbar unsichtbares Objekt in unser Bewusstsein befördern, ein falsches Wort kann es dagegen noch unsichtbarer machen. Für diesen Prozess haben die Wissenschaftler auch schon eine vermutliche Hirnregion ausmachen können. Die Ergebnisse würden darauf hindeuten, dass dafür vor allem Hirnanteile der Wahrnehmung verantwortlich seien, nicht aber Hirnanteile der Sprache.

Übrigen sehen wir nicht nur, was wir hören - sondern wir hören auch, was wir sehen. Das konnten der Psychologe Lawrence Rosenblum von der University of California in Riverside nachweisen: Hören wir jemandem zu, so lesen wir ständig mit unseren Augen von seinen Lippen. Stimmen Gehörtes und Gelesenes nicht miteinander überein, so kann das unsere Wahrnehmung so stören, dass wir nichts mehr verstehen.

*Nota.

"Das Ohr hört, was das Auge sieht", sagte Robert Schumann.
J.E.

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