Sonntag, 4. August 2013

Ganztags zur Schule?

institution logo Fast jeder dritte Schüler in Deutschland geht ganztags zur Schule
Ute Friedrich  
Pressestelle  
Bertelsmann Stiftung 

Anteil schwankt zwischen fast 80 Prozent in Sachsen und gut elf Prozent in Bayern / Gebundene Ganztagsschulen bleiben die Ausnahme / Angebot kann mit Nachfrage bei weitem nicht mithalten / Bertelsmann Stiftung spricht sich für Rechtsanspruch aus

Gütersloh, 4. August 2013. 

Fast jeder dritte Schüler geht in Deutschland ganztags zur Schule. Im Schuljahr 2011/12 nutzten 2,3 Millionen Kinder und Jugendliche Ganztagsangebote. Das sind 30,6 Prozent aller Schüler. Ein Schuljahr zuvor hatte dieser Anteil 28,1 Prozent betragen. Trotz dieser Steigerung liegt das Angebot weit unterhalb der Nachfrage der Eltern nach Ganztagsplätzen. Die bundesweite Statistik sagt jedoch nur wenig über den Schulalltag in den einzelnen Bundesländern. Denn während in Sachsen fast 80 Prozent der Schüler ganztags zur Schule gehen, sind es in Bayern nur gut elf Prozent. "Der Ausbau der Ganztagsschule zeigt besonders deutlich, welch unterschiedliche Schwerpunkte die Bundesländer in der Bildungspolitik setzen. Stellenweise gibt es erheblichen Nachholbedarf", sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, die die aktuellen Zahlen heute veröffentlicht.

Wie die Studie des Essener Bildungsforschers Professor Klaus Klemm zeigt, verlaufen die Unterschiede zwischen den Ländern dabei nicht unbedingt entlang den typischen Ost-West- oder Nord-Süd-Linien. So ist in Brandenburg (46,6 Prozent) der Anteil der ganztags unterrichteten Schüler doppelt so hoch wie im Nachbarland Sachsen-Anhalt (23,6 Prozent). Stadtstaaten weichen genauso stark voneinander ab wie Flächenländer: Hamburg verzeichnet eine doppelt so hohe Ganztagsquote (56,8 Prozent) wie Bremen (28,3 Prozent), und in Nordrhein-Westfalen (34,8 Prozent) gehen doppelt so viele Schüler ganztags in die Schule wie in Baden-Württemberg (17,2 Prozent).

Ähnlich weit auseinander liegen die Länder beim Anteil der Schüler, die in eine gebundene Ganztagsschule gehen. In Hessen besuchen nur 3,1 Prozent der Schüler die gebundene Ganztagsschule, auch Schleswig-Holstein, Bayern, Saarland, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen liegen im einstelligen Prozentbereich. Spitzenreiter ist erneut Sachsen mit knapp 31 Prozent.

Bundesweit liegt die Quote der Schüler, die im gebundenen Ganztag unterrichtet werden, bei 13,7 Prozent (Vorjahr: 12,9 Prozent). Damit besucht weniger als jeder zweite Ganztagsschüler die gebundene Form, der Wissenschaftler besonders große Möglichkeiten zuschreiben, das soziale und kognitive Lernen zu fördern – und damit auch Benachteiligungen von Kindern aus bildungsfernen Familien zu verringern. Zudem ermöglicht der gebundene Ganztag eher, zwischen Konzentrations- und Entspannungsphasen abzuwechseln und den starren 45-Minuten-Takt aufzubrechen.

"Für die individuelle Förderung aller Schüler bietet die gebundene gegenüber der offenen Ganz-tagsschule die besseren Rahmenbedingungen", sagte Dräger. In offenen Ganztagsschulen steht es jedem Schüler frei, ob er die Nachmittagsangebote nutzt – ein Teil der Klasse geht mittags nach Hause. Konsequenz: "In der offenen Ganztagsschule konzentriert sich der Unterricht weiterhin auf den Vormittag, während nachmittags nur Betreuung möglich ist. Das mag berufstätigen Eltern entgegenkommen, dem Lernerfolg der Kinder hilft das weniger", so Dräger. Trotzdem haben die Länder die Mittel aus dem 2003 aufgelegten und inzwischen ausgelaufenen Bundesprogramm zum Ausbau der Ganztagsschule vorrangig in offene Angebote investiert.

Die Nachfrage der Eltern geht repräsentativen Umfragen zufolge weit über die vorhandenen Ange-bote hinaus. Bereits 2010 hatte infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann Stiftung ermittelt, dass 63 Prozent der Eltern sich für ihr Kind den Besuch einer Ganztagsschule wünschen. Im vergangenen Jahr war dieser Wert nach einer Erhebung von TNS Emnid bereits bei 70 Prozent angelangt. "Wenn sich das Tempo beim Ausbau der Ganztagsangebote nicht deutlich erhöht, dauert es noch Jahrzehnte, bis die Nachfrage der Eltern befriedigt ist", sagte Dräger.

Dräger bekräftigte deshalb den Vorschlag der Bertelsmann Stiftung, jedem Schüler einen Rechts-anspruch auf den Besuch einer Ganztagsschule einzuräumen: "Ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz ist der entscheidende Hebel für eine staatliche Investitionsoffensive. Dann müssten die Länder das konzeptionelle Vakuum füllen und gemeinsame Qualitätsstandards erarbeiten, damit die Ganztagsschule ihre Potenziale auch entfalten kann." Studien der Bertelsmann Stiftung hatten im vergangenen Jahr die Kosten für einen flächendeckenden Ausbau der gebundenen Ganztagsschule auf jährlich 9,4 Milliarden Euro beziffert und zugleich bemängelt, dass aufgrund des konzeptionellen Vakuums der bisherige Ausbau höchst unterschiedliche Organisationsformen und Typen hervorgebracht habe.

Rückfragen an:

Ralph Müller-Eiselt, Telefon: 0 52 41 / 81-81456
Mobil: 01520 / 652 79 01

E-mail: ralph.mueller-eiselt@bertelsmann-stiftung.de

Weitere Informationen:
http://www.bertelsmann-stiftung.de
http://hier finden Sie auch die komplette Studie, Pressemitteilungen für die einzelnen Bundesländer und Presse-Grafiken


Nota.

Es ist wie im Irrenhaus: Ob die Ganztagsschule zweckmäßig ist - und mäßig für welche Zwecke? -, wird schon gar nicht mehr diskutiert. Dass die Kinder dort "mehr lernen", wie nach PISA getönt wurde, behauptet heute kein Mensch mehr, und es widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand, dass Kinder rund um die Uhr 'beschult' werden sollen, während jeder Büroleiter weiß, dass seine Mitarbeizter nach der sechsten Stunde nicht mehr viel bringen. Darum wird ja auch schon gar nicht mehr versprochen, die Zahl der Unterrichtsstunden zu erhöhen. 'Gebunden' soll nun die Ganztagsschule sein, die Kinder sollen auch ihre "Freizeit" dort verbringen - unter Aufsicht, unter pädagogischer Anleitung; "schöner spielen" in professioneller Qualität. Dass das den Kindern irgendwie persönlich zugute käme, wird auch schon nichtmehr behauptet. 'Soziales Lernen' auf deutschen Schulhöfen - ausgerechnet an dem Ort, wo jede Zeitung, jeder Sender Mobbing, Gewalt und die Diskriminierung der Minderheiten durch die Mehrheit blühen sieht? Absurder geht es nicht.

Ach so, ja - dem größten Schamteil der deutschen Bildungslandschaft, nämlich ihrer sozialen Ungerechtigkeit, soll endlich beigekommen werden. Ja wie denn das?! Die Schule, die einen halben Tag dauert, verstärkt erwiesenermaßen durch die Art ihrer Auslese die durch soziale Herkunft begingten Ungleichheiten; aber wenn sie doppelt so lange dauert, schlägt der Effekt plötzlich in sein Gegenteil um? Das soll einer verstehen...

Und dann zum Schluss: In der Ganztagsschule lernen die Kinder von integrationsstörrischen Türken besser Deutsch! Das wird ja nicht wahr dadurch, dass man es ständig wiederholt. Man müsste es einmal untersuchen. Und siehe an: Offizielle Studien gibt es nicht, nicht eine. Und wenn ein Wissenschaftler - in diesem Fall eine Wissenschaftlerin - es auf eigne Faust untersucht, stellt sich heraus: Nichtmal dazu taugt die Ganztagsschule!

Man schüttelt den Kopf und reibt sich die Augen: Gegen allen gesunden pädagogischen Menschenverstand und sogar gegen alle erziehungswissenschaftlichen Befunde wiederholen Hinz und Kunz und Professor Müller wie Staatssekretär Meier "Ganztagsschule!" so bombensicher wie das Amen in der Kirche. Wie kommt denn das?

Das macht: So wünscht es die Industrie. Es sollen beide Eltern dem Arbeitsmarkt zu Verfügung stehen. Und die Lehrergewerkschaften finden das auch; und reden es den Eltern ein.
J.E.

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