Dienstag, 13. August 2013

Es gibt ein Über-Leben nach dem Tod.

aus Die Presse, Wien, 13. 8. 2013


Es gibt ein Leben nach dem Tod, zumindest kurz 

Erstmals haben Forscher etwas gemessen, an Ratten, was das Phänomen der Nahtoderfahrungen bei Menschen erklären könnte: Nach dem klinischen Tod bleibt das Gehirn nicht nur kurz aktiv, es wird sogar aktiver. 

Von Jürgen Langenbach

„Ich habe keine Angst vor dem Tod. Es ist nur so, dass ich nicht dabei sein will, wenn es geschieht.“ So versuchte Woody Allen zu distanzieren, was irgendwann kommt, die letzte Erfahrung im Leben. Aber vielleicht würde ihm durch die Abwesenheit beim Sterben etwas entgehen, strahlendes Licht und längst verstorbene Verwandte und Freunde, die die Neuankömmlinge am Ende eines Tunnels oder einer Brücke in seligen Gefilden empfangen. So beschrieb es im sechsten Jahrhundert Papst Gregor in seinen „Dialogen“, er hatte systematisch Erzählungen von Menschen gesammelt, die gestorben, aber ins Leben zurückgekehrt waren und nun die wundersamsten Dinge berichteten: Nahtoderfahrungen.

Identische Grundmuster 
 
Die gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen, bei Naturvölkern wie bei uns, die erste schriftlich überlieferte in Europa steht in Platos „Staat“. Die Berichte sind auch ein wenig kulturell (und geschlechtsspezifisch) überbaut – gläubige Christen werden eher von Jesus und seinen Engeln abgeholt, gläubige Hindus eher von ihren Göttern, (und in allen Fällen haben Frauen intensivere Erlebnisse) –, aber die Grundmuster ziehen sich zu allen Zeiten und an allen Orten durch: Die vom Totenbett Auferstandenen haben Licht gesehen, oft am Ende eines Tunnels, sie haben ihre Körper von oben gesehen, sie wurden empfangen, von Göttern und Freunden. Meist waren die Erfahrungen angenehm – und mildern die Furcht vor dem Tod, der dann doch irgendwann kommt –, und immer war der Blick geschärft – Nahtoderfahrungen sind vor allem visuelle – und das Erlebte „realer als real“.

Was geht da vor sich? Wie kann das Gehirn ausgerechnet in dem Moment, in dem (für die Medizin) der Tod eingetreten ist, klar sein oder gar überklar? Das Herz steht still, der Körper wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, das Gehirn natürlich auch nicht. Bei allen anderen Erfahrungen, bei denen Menschen im Bewusstsein außer sich geraten – Träumen, Halluzinationen, Meditationen, epileptischen Anfällen –, läuft das Gehirn auf hohen Touren, es wird auch gut versorgt. Aber im Nahtod wird es nicht versorgt und soll doch arbeiten! Und das oft: 20 Prozent der Menschen, deren Herz stillstand und dann wieder schlug, berichten in manchen Studien davon, in der generellen Bevölkerung schwanken die Zahlen von Land zu Land, 4,3 Prozent aller Deutschen haben einer Studie zufolge das Licht gesehen, unabhängig von ihrem Alter, auch Kinder, kleine, die noch keine Vorstellung vom Sterben haben.

Kind oder Vater der Religionen?

Für Religionen, die an ein Leben nach dem Tode glauben, ist der Fall klar, der Leib hat seine Schuldigkeit getan, und die Seele braucht keinen Sauerstoff, sie ist befreit von den Schranken und Bedürfnissen des Leibes und geht ins Jenseits ein. Es könnte aber auch umgekehrt sein, die Religionen könnten ihre Existenz Nahtoderfahrungen verdanken, auf dieses Szenario hat George Wettach hingewiesen, ein Notarzt, der häufig mit dem Phänomen konfrontiert war: „Man stelle sich einen Stamm vor, in dem der Medizinmann gerade das Ritual für einen Verstorbenen abhält.“ Der steht plötzlich wieder auf, schwärmt vom Licht etc. Der Medizinmann ist desavouiert, aber „er will die Macht behalten und erfindet einen Gott, mit dem nur er Verbindung halten kann“ (Journal of Near-Death-Studies, 19, S. 71).

Wie auch immer, die Erfahrung ist offenbar da. Und die, die ihr naturwissenschaftlich auf den Grund kommen wollen – also monistisch, ohne Trennung von Leib und Seele und mit der Rückführung aller Phänomene auf eine biologische Basis –, haben schon viele Hypothesen entwickelt: In großer Gefahr setzt das Gehirn etwa Wirkstoffe frei, die Glücksgefühle bringen, Endorphine; oder die Bilder im sterbenden Gehirn kämen vom Sauerstoffmangel bzw. umgekehrt vom Überschuss von Kohlendioxid im Blut; oder das Gehirn verschalte sich in seinen letzten Momenten neu. Geklärt ist es nicht, geklärt ist nicht einmal, ob das Hirn nach dem Herztod überhaupt noch aktiv ist. Man kann es auch nicht klären, man kann schließlich nicht mit Sterbenden experimentieren. 

„Wacher als im Wachzustand“

Zumindest nicht mit sterbenden Menschen. Mit Ratten hingegen haben Jimo Borjigin und George Mashour (University of Michigan) es gerade getan: Sie haben Tiere erst betäubt und dann getötet, ihre Herzen mit einem Medikament zum Stillstand gebracht, zugleich haben sie mit EEG die Hirnströme aufgezeichnet. Die Beschreibung des Ganzen mildern sie terminologisch: Der Herzstillstand heißt „cardiac arrest state“ (CAS), und wenn er eingetreten ist, folgen im Gehirn vier Phasen, CAS1 bis CAS4: Dabei wechseln Aktivitäten verschiedenster Wellen, erst vier Sekunden hochfrequentes Gamma, dann sechs Sekunden Theta, dann niederfrequentes Gamma, 20 Sekunden, am Ende noch eine hohe Frequenz, 18 Stunden, länger wurde nicht gemessen (Pnas, 12. 8.).

Und: In den ersten 30 Sekunden waren die Aktivitäten nicht nur vergleichbar mit denen bei bewussten Vorgängen im Gehirn, sie überboten sie gar. „Wir waren überrascht“, berichtet Mashour: „Viele elektrische Signaturen des Bewusstseins waren paradoxerweise im Nahtod stärker als im Wachzustand.“ Wie das geht, bleibt unklar – die Forscher sehen Sauerstoff- und/oder Zuckermangel dahinter –, und ob es auf Menschen übertragbar ist, steht natürlich dahin. Vor allem stellt der Befund aber ein neues Problem: Das Phänomen zeigte sich bei allen Ratten – warum haben dann nur 20 Prozent der kurzzeitig klinisch toten Menschen Nahtoderfahrungen?


Klinisch tot, helles Hirn

Klinisch tot ist ein Mensch, wenn sein Herz und seine Atmung stillstehen und der Kreislauf kein Blut mehr transportiert. Dann kommt auch keine Energie – kein Sauerstoff – ins Gehirn. Dass das doch eine Zeitlang aktiv bleibt, hat das jetzige Experiment erstmals gezeigt. Wo die nötige Energie herkommt, bleibt im Dunkeln. 


aus scinexx 

Nahtod-Erfahrungen sind real

Ratten-Experiment weist messbaren Aktivitäts-Schub des Gehirns 
kurz nach dem Herzstillstand nach  

Ein helles Licht, Stationen des Lebens im Schnelldurchlauf: Von solchen Nahtod-Erfahrungen berichten viele Menschen, die nach einem Herzstillstand wiederbelebt wurden. Woher diese Gefühls- und Sinneseindrücke kommen, war bisher allerdings umstritten. Ein Experiment von US-Forschern mit Ratten belegt nun: Diese Erfahrungen beruhen auf einem realen neurologischen Effekt. Denn direkt nach dem Herzstillstand erlebt das Gehirn einen kurzen Aktivitäts-Schub, der auf intensive und bewusste Denkprozesse hindeutet, so die Forscher im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences".

Seit Jahrhunderten berichten Menschen immer wieder von besonders intensiven Visionen während Nahtod-Ereignissen - beispielsweise während eines kurzzeitigen Herzstillstands. "Diese Nahtoderfahrungen sind weltweit aus allen Kulturen bekannt und werden meist als extrem lebensecht und fast schon 'realer als real' beschrieben", erklären Jimo Borjigin von der University of Michigan in Ann Arbor und ihre Kollegen.

Ob allerdings das Gehirn nach einem Herzstillstand überhaupt noch dazu fähig sei, bewusste Sinneseindrücke und Aktivität zu erzeugen, darüber werde heftig gestritten. Schließlich endet mit dem Pumpen des Herzens auch die Blut- und Sauerstoffversorgung des Gehirns. Da solche Nahtod-Ereignisse beim Menschen kaum vorhersagbar sind und schon gar nicht absichtlich herbeigeführt werden dürfen, gab es bisher nur wenig Möglichkeiten, sie genauer zu untersuchen.

Hirnströme verraten Bewusstseinszustand

Borjigin und ihre Kollegen haben sich daher eines Tiermodells bedient, der Ratte. Denn in seinen grundsätzlichen Merkmalen ist die Hirnaktivität des Tieres durchaus mit der des Menschen vergleichbar. Ähnlich wie bei uns lässt sich bewusstes Denken und Erleben auch bei den Ratten durch bestimmte Merkmale im Elektroenzephalogramm (EEG) erkennen, der Messung der Hirnströme. So sind beispielsweise die sogenannten Gammawellen stark synchronisiert und verstärkt und auch die langsameren Thetawellen sind präsent und oft mit den Gammawellen gekoppelt. Diese Muster entstehen unter anderem dadurch, dass das Gehirn elektrische Signale zwischen verschiedenen Hirnarealen austauscht, wie die Forscher erklären.

Für ihre Studie implantierten die Forscher neun Ratten Elektroden unter die Schädeldecke und zeichneten zunächst deren Hirnströme während normaler Wachperioden auf. Dann wurden alle Ratten in Narkose versetzt und dabei erneut ihre Hirnströme gemessen. Schließlich lösten die Wissenschaftler durch Injektion einer Kaliumchlorid-Lösung einen Herzstillstand aus und zeichneten die Hirnaktivität weitere 30 Minuten lang auf. "Das ist die erste Studie, die an Tieren untersucht, was genau im sterbenden Gehirn passiert", sagt Borjigin.

Kurzzeitig aktiver als im wachen Zustand

Die Auswertung der EEG-Daten ergab Überraschendes: Etwa zehn Sekunden nach dem Herzstillstand begann plötzlich die Intensität einiger Gammawellen im Gehirn stark anzusteigen, wie die Forscher berichten. Diese Hirnströme der Frequenz zwischen 25 und 55 Hertz erreichten sogar Werte, die deutlich über denen im wachen Zustand lagen. Gleichzeitig nahm auch die Synchronizität der Gammawellen stark zu - ein Zustand, der mehr als 15 Sekunden lang anhielt und in den auch die langsameren Thetawellen mit einstimmten.

"Wir waren überrascht von dem hohen Ausmaß der Aktivität", sagt Seniorautor George Mashour, Anästhesist an der University of Michigan. Einige Hirnsignale seien in dieser Nahtodphase sogar aktiver als im wachen Zustand. Erst nach diesem Aktivitäts-Schub ebbten dann die Hirnströme endgültig ab und hörten schließlich ganz auf.

Nach Ansicht der Forscher deuten ihre Beobachtungen daraufhin, dass das Gehirn direkt nach dem Herzstillstand durchaus noch zu organisierter elektrischer Aktivität fähig ist - und dass diese Aktivität entscheidende Merkmale einer bewussten Verarbeitung von Informationen aufweist. Die intensiven Nahtoderfahrungen Sterbender könnten daher durchaus durch diesen kurzzeitigen Aktivitätspuls des Gehirns ausgelöst werden. "Wir liefern damit nun einen wissenschaftlichen Rahmen, um die hochgradig lebensechten und realen mentalen Erfahrungen zu erklären, die viele Überlebende eines Nahtod-Ereignisses berichten", konstatieren Borjigin und ihre Kollegen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1308285110

(PNAS, 13.08.2013 - NPO)

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