Mittwoch, 7. August 2013

Conditio techno-humana.

aus NZZ, 7. 8. 2013

Das «Unbewusste» der Technik
 
Auftakt zu einer neuen Serie in unserer Forschungsbeilage

Der technische Fortschritt hat seine eigene Dialektik. Einerseits entlastet er uns von vielen Mühen und Problemen des Lebens. Im Gegenzug belastet er uns aber mit neuen Mühen und Problemen, die oft im Schatten der schönen Gerätewelt bleiben.

von Eduard Kaeser

Auf die Alltäglichkeit eines Geräts folgt seine Unsichtbarkeit. Und Unsichtbarkeit gehört zum Signum der Macht. So verhält es sich auch mit der Macht von Geräten. Sie sinken ab in Routine, Gewohnheit, Selbstverständlichkeit: Sie bilden das «Unbewusste» der Technik. Das ist in mancherlei Hinsicht von Vorteil. Ich kann mich, um mich zu waschen, auf eine funktionierende Wasserzuleitung verlassen; die Elektrizitätsversorgung garantiert mir den Steckdosenkomfort im Haushalt; eine effiziente Entsorgungsanlage nimmt mir die «Sorge» um den Abfall ab; die Transportsysteme gestatten mir eine Beweglichkeit weit über das Lokale hinaus; zu schweigen von den neuen Kommunikationsoptionen der elektronischen Medien.

Ich und mein Gerät

Technik sedimentiert in unserem Habitus, und dies hat in technisch avancierten Gesellschaften dazu geführt, dass die Geräte meist nur dann aus dem «Unbewussten» auftauchen, wenn sie nicht funktionieren. Und selbst dann stellt sich meist bloss ein besonderes Problem der Reparatur und Wartung, nicht ein allgemeineres der Conditio humana. Gewiss, eine kaputte Wasserleitung flicken wir nicht durch philosophische Reflexion. Aber in dem Masse, in dem Technik einsinkt in unsere Gewohnheiten, in dem Masse macht sie sich als ein unumgängliches Thema der Anthropologie bemerkbar.

Technik wird invasiver, intimer, «persönlicher». Ein banales Beispiel: In Diskussionen über Gadgets und Apps fällt ein neuerdings erhobener persönlicher Ton auf. Was hast du gegen Google+? bedeutet so viel wie: Was hast du gegen mich? Das Gerät scheint zu einem Identitätshalter (wenn nicht gar zu einer Identitätsprothese) zu werden. Bereits die Rede vom Technik-«Nutzer» ist eigentlich irreführend. Sie suggeriert eine Dualität: Hier der Mensch, dort die Technik. Aber längst sind wir nicht mehr die souveränen menschlichen Subjekte, die einfach technische Objekte benutzen. Die Geräte «benutzen» auch uns. Wir bilden mit ihnen «symbiotische» Einheiten aus Mensch-plus-Gerät.

Mit dieser Conditio techno-humana verknüpfen sich nun freilich Risiken, deren zeitliche Fernwirkung wir kaum abschätzen können. Natürlich gibt es das Technology Assessment, aber ohne an dessen Wert zu zweifeln, möchte ich behaupten, dass es eine Dimension viel zu wenig berücksichtigt. Wie uns schon die Psychoanalyse lehrte, ist das Unbewusste schwer kontrollierbar, und gerade dadurch übt es seine Macht auf uns aus. Jede Technik schafft Anreize zu einem bestimmten Verhalten und zu bestimmten Haltungen, und diese Anreize können sich in Abhängigkeiten verwandeln. «Sach»-Zwänge sind grösstenteils auf die Sache projizierte «Selbst»-Zwänge, die sich über Gewohnheiten in uns eingeschliffen haben.

Technik ist politisch. Die meisten von uns haben sich irgendeinmal relativ frei entschieden, ein Auto, einen Computer, ein Fernsehgerät, ein Handy anzuschaffen. Wirft man aus geringer Höhe einen Blick zurück auf die jüngere Technikgeschichte, erscheint diese als eine Parade grandioser Erfindungen, die uns ununterbrochen einreden, unser Leben sei dank ihnen anders, besser, schöner, leichter geworden. Das verwundert eigentlich auch kaum, denn die Geschichte von neuen Medien und Geräten ist in ihrer Anfangsphase kaum von deren Promotion zu unterscheiden; sie wird vorzugsweise von Designern und Marktschreiern geschrieben, die ihre Produkte an die Frau und an den Mann bringen wollen. Ihre Perspektive redet uns Alternativlosigkeit ein: Es gibt nichts anderes, nichts Besseres!

In diesem Sinn gleichen technische Innovationen gesetzgeberischen Akten. Ihre Macht beruht darauf, dass sie die Bedingungen öffentlichen Lebens mitdefinieren und auf Generationen hinaus festlegen können. Dass technische Innovationen heute vielfach im Schosse von global agierenden Konzernen mit ihren eigenen korporativen Interessen ausgeheckt werden, lädt sie mit besonderer politischer Brisanz auf. Gerade hier ist die Rede von der Conditio techno-humana angemessen und angezeigt.

Wie jede Macht schmückt sich auch technische mit Mythen. Zum Kernbestand dieser Mythologie gehören heute: Souveränität, Sicherheit, Entlastung, Voraussicht. Technik macht uns frei und stark; sie macht unser Leben sicher; sie entlässt uns aus den Mühlen der Routine; sie erlaubt uns einen klaren Blick in die Zukunft. Ich ziehe nicht die Fortschritte in Zweifel, die wir dank diesen Errungenschaften erzielt haben. Wir sollten nur hellsichtiger gegenüber der Dialektik des Fortschritts werden, die uns auch neue Abhängigkeiten, Unsicherheiten, Belastungen und Unübersichtlichkeiten beschert. In diesem Sinn erweist sich Technik von ihrem Wesen her als «trojanisch». Ihr Nutzen ist stets von unbeabsichtigten verborgenen Nebeneffekten begleitet. 

Besonders ein Trend verlangt nach Wachsamkeit: die quasi-religiöse Erwartung. Vermehrt umgeben sich die neuen Geräte auf dem Markt mit der Aura, von einem «Gott» geschaffen worden zu sein - «machinae ex deo». Die Kundenbindung von Apple zum Beispiel funktioniert nur deshalb so effizient, weil die globale Nutzerherde inzwischen durch die Liturgie der Werbung dermassen in Stimmung versetzt ist, dass sie jedes Jahr die neueste Generation von iProdukten zu sich nimmt wie Gläubige die Oblate in der Kirche.

Wo bleibt die Reflexion?

Nicht zuletzt gibt aber das «Unbewusste» der Technik noch aus einem anderen Grund zu denken. Zwar leugnet niemand die Imprägniertheit unseres Lebens durch die Technik. Aber das Thema wird kaum auf ein kritisches Reflexionsniveau gehoben. Das bezeugt auf schon fast eklatante Weise ein jüngst in der Wochenzeitung «Die Zeit» publiziertes Dossier. Titel: Was ist das gute Leben? In ihm werden die «grossen» philosophischen Fragen der Gegenwart von namhaften Autorinnen und Autoren vorgestellt: Gerechtigkeit, Freiheit, Glück, Tod usw. Fast nichts fehlt in der Palette, ausser - die Technik. Unbeschadet der Tatsache, dass sie die meisten grossen Themen von heute mitprägt, scheint sie die Würde philosophischer Aufmerksamkeit (noch) nicht erlangt zu haben, zumindest nicht im europäischen Denkraum.

Mit dieser Technikvergessenheit der Philosophie korrespondiert die Philosophievergessenheit der Technik (Ausnahmen bestätigen die Regel). Unüberhörbar sind aus dem Lager der «Technorati» beschwipste Töne zu vernehmen, die das Paradies dank «Enhancement» des Menschen durch Geräte versprechen und eigentlich immer nur eines meinen: die Absatzmärkte neuer Tools und Apps. Dass die beiden epochalen Defizite ein Menschenbild - genauer: das Bild des autonomen, selber entscheidenden menschlichen Individuums - Zug um Zug ausradieren helfen, manifestiert eine geradezu Orwellsche Paradoxie: Technik macht den Menschen in dem Masse freier, in dem er sich unter ihre Herrschaft begibt. Er wird selber zum Anhängsel seiner Erfindungen. Sollte uns das nicht als neues Unbehagen in der Kultur beschäftigen?

Mit diesem Artikel beginnt eine neue Serie in unserer Forschungsbeilage. Im Zwei-Wochen-Rhythmus sollen die Errungenschaften der Technik philosophisch beleuchtet werden.

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